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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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mancher Stadt, auf den Ausspruch der Kritik har-
rend, die ihnen erst verkündigen soll, ob ihnen denn
auch gefallen dürfe, was ihnen gern gefallen hätte?

Carino jedoch, plötzlich ernst geworden, legte seine
Rechte auf Anton's Lockenkopf und sagte leise: Junge,
vom Geigen verstehst Du freilich nichts; Du hältst
Deinen Bogen wie ein Biegeleisen und greifst wie
ein Schneider, der Flöhe sucht; auch kann ich nicht
wissen, ob in Dir ein tüchtiger Musiker, oder ein auch
nur leidlicher Virtuose steckt? Aber, daß Jemand
in Dir steckt, daß Du ein Herz, ein Gemüth, daß Du
Gefühl und Geist hast, daß Gott in Dir wohnt! das
schwör' ich Dir zu, so gewiß, daß ich ein arger Lump
und daneben eine wahre Künstlernatur bin. Den
Jungen haltet warm, ihr Onkels! Geht freundlich
mit ihm um, ihr Damen und Vettern! Das ist kein
gewöhnlicher Korbflechter. Aus solchem Holze schnitzt
das Schicksal bisweilen seine Auserwählten. Gib mir
einen Kuß, Antonio, ich hab' Dich lieb.

Diese in humoristischer Feierlichkeit gesprochenen
Worte machten auf alle Eindruck, sogar auf Onkel
Nasus, der seine Rührung mit einem großem Schluck
hinunter zu schwemmen suchte.

Ottilie war hinter der Hausthür verschwunden.

mancher Stadt, auf den Ausſpruch der Kritik har-
rend, die ihnen erſt verkuͤndigen ſoll, ob ihnen denn
auch gefallen duͤrfe, was ihnen gern gefallen haͤtte?

Carino jedoch, ploͤtzlich ernſt geworden, legte ſeine
Rechte auf Anton’s Lockenkopf und ſagte leiſe: Junge,
vom Geigen verſtehſt Du freilich nichts; Du haͤltſt
Deinen Bogen wie ein Biegeleiſen und greifſt wie
ein Schneider, der Floͤhe ſucht; auch kann ich nicht
wiſſen, ob in Dir ein tuͤchtiger Muſiker, oder ein auch
nur leidlicher Virtuoſe ſteckt? Aber, daß Jemand
in Dir ſteckt, daß Du ein Herz, ein Gemuͤth, daß Du
Gefuͤhl und Geiſt haſt, daß Gott in Dir wohnt! das
ſchwoͤr’ ich Dir zu, ſo gewiß, daß ich ein arger Lump
und daneben eine wahre Kuͤnſtlernatur bin. Den
Jungen haltet warm, ihr Onkels! Geht freundlich
mit ihm um, ihr Damen und Vettern! Das iſt kein
gewoͤhnlicher Korbflechter. Aus ſolchem Holze ſchnitzt
das Schickſal bisweilen ſeine Auserwaͤhlten. Gib mir
einen Kuß, Antonio, ich hab’ Dich lieb.

Dieſe in humoriſtiſcher Feierlichkeit geſprochenen
Worte machten auf alle Eindruck, ſogar auf Onkel
Naſus, der ſeine Ruͤhrung mit einem großem Schluck
hinunter zu ſchwemmen ſuchte.

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[68/0084] mancher Stadt, auf den Ausſpruch der Kritik har- rend, die ihnen erſt verkuͤndigen ſoll, ob ihnen denn auch gefallen duͤrfe, was ihnen gern gefallen haͤtte? Carino jedoch, ploͤtzlich ernſt geworden, legte ſeine Rechte auf Anton’s Lockenkopf und ſagte leiſe: Junge, vom Geigen verſtehſt Du freilich nichts; Du haͤltſt Deinen Bogen wie ein Biegeleiſen und greifſt wie ein Schneider, der Floͤhe ſucht; auch kann ich nicht wiſſen, ob in Dir ein tuͤchtiger Muſiker, oder ein auch nur leidlicher Virtuoſe ſteckt? Aber, daß Jemand in Dir ſteckt, daß Du ein Herz, ein Gemuͤth, daß Du Gefuͤhl und Geiſt haſt, daß Gott in Dir wohnt! das ſchwoͤr’ ich Dir zu, ſo gewiß, daß ich ein arger Lump und daneben eine wahre Kuͤnſtlernatur bin. Den Jungen haltet warm, ihr Onkels! Geht freundlich mit ihm um, ihr Damen und Vettern! Das iſt kein gewoͤhnlicher Korbflechter. Aus ſolchem Holze ſchnitzt das Schickſal bisweilen ſeine Auserwaͤhlten. Gib mir einen Kuß, Antonio, ich hab’ Dich lieb. Dieſe in humoriſtiſcher Feierlichkeit geſprochenen Worte machten auf alle Eindruck, ſogar auf Onkel Naſus, der ſeine Ruͤhrung mit einem großem Schluck hinunter zu ſchwemmen ſuchte. Ottilie war hinter der Hausthuͤr verſchwunden.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/84>, abgerufen am 24.11.2024.