dritte Gast machte ihm den Eindruck eines Menschen von ganz besonderem Schlage; ein ähnliches Gewächs irgendwo gesehen zu haben, konnte er sich weder erinnern, noch wußte er im Geringsten, was er von dem baumlangen, engbrüstigen, schmalaufgeschossenen Kerl mit grauen Locken und zitronengelbem Gesicht halten solle. Dieser redete mit Charles ein leidliches Französisch, mit den andern Herren ein leidliches Deutsch, besaß dabei aber eine dünne, schneidende Fistelstimme, die zu der Kirchthurmfigur gar nicht paßte. Wie er sich, gleich den Uebrigen, bei Antons Eintritt auf einen Augenblick von der Tafel erhob, stieß er beinah an die Decke des Gasthauszimmers an. Charles verkündete sogleich, daß dieser "Artiste" morgen in derselben Kutsche reisen werde, die so glück- lich sei, seinen charmanten jungen Landsmann nach Dr. zu bringen und war auch bemüht, den Namen des Fremden zu verkünden, der nicht anders lautete, als "Herr Schkramprl." Es läßt sich erklären, wie und warum der Pariser Eskamoteur dieser über fran- zösische Sprechwerkzeuge weit hinausgehenden Be- mühung unterlag; der Besitzer, wollte er richtig zur Welt gefördert werden, sah sich genöthiget, sich selbst
dritte Gaſt machte ihm den Eindruck eines Menſchen von ganz beſonderem Schlage; ein aͤhnliches Gewaͤchs irgendwo geſehen zu haben, konnte er ſich weder erinnern, noch wußte er im Geringſten, was er von dem baumlangen, engbruͤſtigen, ſchmalaufgeſchoſſenen Kerl mit grauen Locken und zitronengelbem Geſicht halten ſolle. Dieſer redete mit Charles ein leidliches Franzoͤſiſch, mit den andern Herren ein leidliches Deutſch, beſaß dabei aber eine duͤnne, ſchneidende Fiſtelſtimme, die zu der Kirchthurmfigur gar nicht paßte. Wie er ſich, gleich den Uebrigen, bei Antons Eintritt auf einen Augenblick von der Tafel erhob, ſtieß er beinah an die Decke des Gaſthauszimmers an. Charles verkuͤndete ſogleich, daß dieſer „Artiſte“ morgen in derſelben Kutſche reiſen werde, die ſo gluͤck- lich ſei, ſeinen charmanten jungen Landsmann nach Dr. zu bringen und war auch bemuͤht, den Namen des Fremden zu verkuͤnden, der nicht anders lautete, als „Herr Schkramprl.“ Es laͤßt ſich erklaͤren, wie und warum der Pariſer Eskamoteur dieſer uͤber fran- zoͤſiſche Sprechwerkzeuge weit hinausgehenden Be- muͤhung unterlag; der Beſitzer, wollte er richtig zur Welt gefoͤrdert werden, ſah ſich genoͤthiget, ſich ſelbſt
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dritte Gaſt machte ihm den Eindruck eines Menſchen
von ganz beſonderem Schlage; ein aͤhnliches Gewaͤchs
irgendwo geſehen zu haben, konnte er ſich weder
erinnern, noch wußte er im Geringſten, was er von
dem baumlangen, engbruͤſtigen, ſchmalaufgeſchoſſenen
Kerl mit grauen Locken und zitronengelbem Geſicht
halten ſolle. Dieſer redete mit Charles ein leidliches
Franzoͤſiſch, mit den andern Herren ein leidliches
Deutſch, beſaß dabei aber eine duͤnne, ſchneidende
Fiſtelſtimme, die zu der Kirchthurmfigur gar nicht
paßte. Wie er ſich, gleich den Uebrigen, bei Antons
Eintritt auf einen Augenblick von der Tafel erhob,
ſtieß er beinah an die Decke des Gaſthauszimmers
an. Charles verkuͤndete ſogleich, daß dieſer „Artiſte“
morgen in derſelben Kutſche reiſen werde, die ſo gluͤck-
lich ſei, ſeinen charmanten jungen Landsmann nach
Dr. zu bringen und war auch bemuͤht, den Namen
des Fremden zu verkuͤnden, der nicht anders lautete,
als „Herr Schkramprl.“ Es laͤßt ſich erklaͤren, wie
und warum der Pariſer Eskamoteur dieſer uͤber fran-
zoͤſiſche Sprechwerkzeuge weit hinausgehenden Be-
muͤhung unterlag; der Beſitzer, wollte er richtig zur
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/137>, abgerufen am 23.11.2024.
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