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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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räderige Ungethüm, in dessen Bauch er sich ein-
geschachtet befand, dem Ziele der Fahrt kam; je hef-
tiger das unerbittliche, mit jeder Post schlechter
werdende Straßenpflaster ihn emporrüttelte aus
weichen, weichlichen Phantasieen, desto klarer stieg
wieder Adelens Bild in ihm auf; desto lebhafter
wuchs seine Hoffnung, die treue theure Freundin doch
wohl aufzufinden! Vielleicht als Belohnung, vom
Geschick ihm zugedacht! Denn im Ganzen meinte er,
mit sich zufrieden sein zu dürfen. Einen Moment
abgerechnet, wo er in leichtverzeihlicher Verblendung
schwach genug gewesen, den Gatten neben der Gattin
zu vergessen, hatte er doch die Stimme der Pflicht
gehört und ihr nachgegeben, da es noch nicht zu spät
war, sich zu ermannen. Er durfte ohne Reue und
Scham an den biedern Mann zurückdenken, der ihm
vertrauend wohlgewollt. Dies Bewußtsein verlieh
ihm freudige Zuversicht. Daß er Adelen wiedersehe,
erbat er sich vom Geschick zum Lohne seiner Ent-
sagung bei Käthchen.

Der Kondukteur der Diligence, womit er die Fahrt
zurückgelegt, empfahl ihm eine Wohnung bei stillen,
alten Leuten, welche für einzelne Herren, wenn diese
geringe Ansprüche machen wollten, gern die Hälfte

raͤderige Ungethuͤm, in deſſen Bauch er ſich ein-
geſchachtet befand, dem Ziele der Fahrt kam; je hef-
tiger das unerbittliche, mit jeder Poſt ſchlechter
werdende Straßenpflaſter ihn emporruͤttelte aus
weichen, weichlichen Phantaſieen, deſto klarer ſtieg
wieder Adelens Bild in ihm auf; deſto lebhafter
wuchs ſeine Hoffnung, die treue theure Freundin doch
wohl aufzufinden! Vielleicht als Belohnung, vom
Geſchick ihm zugedacht! Denn im Ganzen meinte er,
mit ſich zufrieden ſein zu duͤrfen. Einen Moment
abgerechnet, wo er in leichtverzeihlicher Verblendung
ſchwach genug geweſen, den Gatten neben der Gattin
zu vergeſſen, hatte er doch die Stimme der Pflicht
gehoͤrt und ihr nachgegeben, da es noch nicht zu ſpaͤt
war, ſich zu ermannen. Er durfte ohne Reue und
Scham an den biedern Mann zuruͤckdenken, der ihm
vertrauend wohlgewollt. Dies Bewußtſein verlieh
ihm freudige Zuverſicht. Daß er Adelen wiederſehe,
erbat er ſich vom Geſchick zum Lohne ſeiner Ent-
ſagung bei Kaͤthchen.

Der Kondukteur der Diligence, womit er die Fahrt
zuruͤckgelegt, empfahl ihm eine Wohnung bei ſtillen,
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[260/0262] raͤderige Ungethuͤm, in deſſen Bauch er ſich ein- geſchachtet befand, dem Ziele der Fahrt kam; je hef- tiger das unerbittliche, mit jeder Poſt ſchlechter werdende Straßenpflaſter ihn emporruͤttelte aus weichen, weichlichen Phantaſieen, deſto klarer ſtieg wieder Adelens Bild in ihm auf; deſto lebhafter wuchs ſeine Hoffnung, die treue theure Freundin doch wohl aufzufinden! Vielleicht als Belohnung, vom Geſchick ihm zugedacht! Denn im Ganzen meinte er, mit ſich zufrieden ſein zu duͤrfen. Einen Moment abgerechnet, wo er in leichtverzeihlicher Verblendung ſchwach genug geweſen, den Gatten neben der Gattin zu vergeſſen, hatte er doch die Stimme der Pflicht gehoͤrt und ihr nachgegeben, da es noch nicht zu ſpaͤt war, ſich zu ermannen. Er durfte ohne Reue und Scham an den biedern Mann zuruͤckdenken, der ihm vertrauend wohlgewollt. Dies Bewußtſein verlieh ihm freudige Zuverſicht. Daß er Adelen wiederſehe, erbat er ſich vom Geſchick zum Lohne ſeiner Ent- ſagung bei Kaͤthchen. Der Kondukteur der Diligence, womit er die Fahrt zuruͤckgelegt, empfahl ihm eine Wohnung bei ſtillen, alten Leuten, welche fuͤr einzelne Herren, wenn dieſe geringe Anſpruͤche machen wollten, gern die Haͤlfte

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/262>, abgerufen am 24.11.2024.