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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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Sprache ist mir zu schwierig, noch aus meiner Geno-
veva-Zeit hatte ich davon genug. Theodor mußte mir
einen französischen Lehrer halten. Dieser unterrichtete
mich fleißig und ich lernte noch fleißiger. Aber war
das ein Jahr! Eingeschlossen in einer halbversteckten
Wohnung vor dem Thore, ohne fröhlichen Umgang,
ohne Freiheit, den ganzen langweiligen Tag wie ein
Kind in der Schule! Es war fürchterlich. Aber ich
wollte -- und der Wille vermag Alles. Hätt' ich
für jene todten Tage lebendige Nächte gehabt, dann
wäre mir's leichter gewesen. Doch die Nacht führte
mir ihn zu, den ich nicht liebe, wie Sie wissen; den
ich zu lieben vorgab weil -- weil er reich ist. Noch
heute bin ich nicht im Stande zu bestimmen, was
mir unerträglicher schien: ob die Verstellung gegen
Theodor? Ob die Pein des Lernens und der Zwang,
den Euer Anstand mir auferlegte?

Unser Verhältniß wurde so geheim gehalten;
Theodor führte Alles mit der ihm angeborenen Heu-
chelei so schlau und pfiffig durch, daß der Alte keine
Ahnung davon bekam. Mit zwanzig Jahren wurde
mein junger Herr, wegen seines musterhaften Wohl-
verhaltens für großjährig erklärt und Liebenau ihm
förmlich übergeben. --

Sprache iſt mir zu ſchwierig, noch aus meiner Geno-
veva-Zeit hatte ich davon genug. Theodor mußte mir
einen franzoͤſiſchen Lehrer halten. Dieſer unterrichtete
mich fleißig und ich lernte noch fleißiger. Aber war
das ein Jahr! Eingeſchloſſen in einer halbverſteckten
Wohnung vor dem Thore, ohne froͤhlichen Umgang,
ohne Freiheit, den ganzen langweiligen Tag wie ein
Kind in der Schule! Es war fuͤrchterlich. Aber ich
wollte — und der Wille vermag Alles. Haͤtt’ ich
fuͤr jene todten Tage lebendige Naͤchte gehabt, dann
waͤre mir’s leichter geweſen. Doch die Nacht fuͤhrte
mir ihn zu, den ich nicht liebe, wie Sie wiſſen; den
ich zu lieben vorgab weil — weil er reich iſt. Noch
heute bin ich nicht im Stande zu beſtimmen, was
mir unertraͤglicher ſchien: ob die Verſtellung gegen
Theodor? Ob die Pein des Lernens und der Zwang,
den Euer Anſtand mir auferlegte?

Unſer Verhaͤltniß wurde ſo geheim gehalten;
Theodor fuͤhrte Alles mit der ihm angeborenen Heu-
chelei ſo ſchlau und pfiffig durch, daß der Alte keine
Ahnung davon bekam. Mit zwanzig Jahren wurde
mein junger Herr, wegen ſeines muſterhaften Wohl-
verhaltens fuͤr großjaͤhrig erklaͤrt und Liebenau ihm
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[277/0279] Sprache iſt mir zu ſchwierig, noch aus meiner Geno- veva-Zeit hatte ich davon genug. Theodor mußte mir einen franzoͤſiſchen Lehrer halten. Dieſer unterrichtete mich fleißig und ich lernte noch fleißiger. Aber war das ein Jahr! Eingeſchloſſen in einer halbverſteckten Wohnung vor dem Thore, ohne froͤhlichen Umgang, ohne Freiheit, den ganzen langweiligen Tag wie ein Kind in der Schule! Es war fuͤrchterlich. Aber ich wollte — und der Wille vermag Alles. Haͤtt’ ich fuͤr jene todten Tage lebendige Naͤchte gehabt, dann waͤre mir’s leichter geweſen. Doch die Nacht fuͤhrte mir ihn zu, den ich nicht liebe, wie Sie wiſſen; den ich zu lieben vorgab weil — weil er reich iſt. Noch heute bin ich nicht im Stande zu beſtimmen, was mir unertraͤglicher ſchien: ob die Verſtellung gegen Theodor? Ob die Pein des Lernens und der Zwang, den Euer Anſtand mir auferlegte? Unſer Verhaͤltniß wurde ſo geheim gehalten; Theodor fuͤhrte Alles mit der ihm angeborenen Heu- chelei ſo ſchlau und pfiffig durch, daß der Alte keine Ahnung davon bekam. Mit zwanzig Jahren wurde mein junger Herr, wegen ſeines muſterhaften Wohl- verhaltens fuͤr großjaͤhrig erklaͤrt und Liebenau ihm foͤrmlich uͤbergeben. —

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/279>, abgerufen am 15.06.2024.