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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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gel, Entbehrung, ja Hunger an einem schwergebeugten,
wenn auch noch nicht zerstörten Körper nagen; wie
von Tage zu Tage die Flamme dürftiger flackert, die
vielleicht bald erlöschen wird.

"Jch betrachte mich selbst und meinen Zustand,"
-- schreibt er u. A. -- "wie der Arzt einen Kranken
betrachten mag, den zu beobachten seine Pflicht
erheischt. Jch frage mich stündlich: wie lange wirst
Du noch im Stande sein, die Feder zu halten? Und
was wirst Du empfinden, wenn Du Dich erst zu
schwach fühlst, sie zu führen? Mit ihr zu beschreiben,
daß sie Deinen Fingern entsank?"

Das irgend Entbehrliche war verkauft, durch
Vermittelung der alten Wirthin, die sich und ihre
baaren Auslagen dadurch bezahlt machen sollte.
Dazu reichte der Ertrag nicht hin. Sie war so gut-
herzig, ihren eigenen Wandspiegel, das einzige unnütze
Stück im ganzen Haushalt, zu veräußern, damit
noch einige Tage der Galgenfrist errungen werden
möchten. Dann sah sie sich genöthiget, ihrem
Miethsmanne zu eröffnen: Heute werden Sie nichts
zu essen haben, Herr Antoine; doch wenn es sie
trösten kann: mein Mann und ich wollen auch fasten,
und aus guten Gründen.

gel, Entbehrung, ja Hunger an einem ſchwergebeugten,
wenn auch noch nicht zerſtoͤrten Koͤrper nagen; wie
von Tage zu Tage die Flamme duͤrftiger flackert, die
vielleicht bald erloͤſchen wird.

„Jch betrachte mich ſelbſt und meinen Zuſtand,“
— ſchreibt er u. A. — „wie der Arzt einen Kranken
betrachten mag, den zu beobachten ſeine Pflicht
erheiſcht. Jch frage mich ſtuͤndlich: wie lange wirſt
Du noch im Stande ſein, die Feder zu halten? Und
was wirſt Du empfinden, wenn Du Dich erſt zu
ſchwach fuͤhlſt, ſie zu fuͤhren? Mit ihr zu beſchreiben,
daß ſie Deinen Fingern entſank?“

Das irgend Entbehrliche war verkauft, durch
Vermittelung der alten Wirthin, die ſich und ihre
baaren Auslagen dadurch bezahlt machen ſollte.
Dazu reichte der Ertrag nicht hin. Sie war ſo gut-
herzig, ihren eigenen Wandſpiegel, das einzige unnuͤtze
Stuͤck im ganzen Haushalt, zu veraͤußern, damit
noch einige Tage der Galgenfriſt errungen werden
moͤchten. Dann ſah ſie ſich genoͤthiget, ihrem
Miethsmanne zu eroͤffnen: Heute werden Sie nichts
zu eſſen haben, Herr Antoine; doch wenn es ſie
troͤſten kann: mein Mann und ich wollen auch faſten,
und aus guten Gruͤnden.

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[335/0337] gel, Entbehrung, ja Hunger an einem ſchwergebeugten, wenn auch noch nicht zerſtoͤrten Koͤrper nagen; wie von Tage zu Tage die Flamme duͤrftiger flackert, die vielleicht bald erloͤſchen wird. „Jch betrachte mich ſelbſt und meinen Zuſtand,“ — ſchreibt er u. A. — „wie der Arzt einen Kranken betrachten mag, den zu beobachten ſeine Pflicht erheiſcht. Jch frage mich ſtuͤndlich: wie lange wirſt Du noch im Stande ſein, die Feder zu halten? Und was wirſt Du empfinden, wenn Du Dich erſt zu ſchwach fuͤhlſt, ſie zu fuͤhren? Mit ihr zu beſchreiben, daß ſie Deinen Fingern entſank?“ Das irgend Entbehrliche war verkauft, durch Vermittelung der alten Wirthin, die ſich und ihre baaren Auslagen dadurch bezahlt machen ſollte. Dazu reichte der Ertrag nicht hin. Sie war ſo gut- herzig, ihren eigenen Wandſpiegel, das einzige unnuͤtze Stuͤck im ganzen Haushalt, zu veraͤußern, damit noch einige Tage der Galgenfriſt errungen werden moͤchten. Dann ſah ſie ſich genoͤthiget, ihrem Miethsmanne zu eroͤffnen: Heute werden Sie nichts zu eſſen haben, Herr Antoine; doch wenn es ſie troͤſten kann: mein Mann und ich wollen auch faſten, und aus guten Gruͤnden.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/337>, abgerufen am 27.11.2024.