"Warum, wenn es nicht so wäre, würden so viele junge Leute die Gesellschaft von Schauspielern auf- suchen? Wie Sie selbst mir neulich erzählten, als wir von meinem und Adelens Gegner, dem kleinen Grafen redeten?"
Warum? Kind, das ist ein kurzes Frage-Wort, brauchte aber eine lange Antwort, sollte dieselbe er- schöpfend sein. Zu solcher hab' ich heute nicht Muße, denn ich soll noch einigen meiner Kundschaften auf dem Wege zum Friedhofe behülflich werden; nehmen Sie also mit einer kurzen vorlieb: Die Sucht mit Schauspielern zu verkehren, kann zweierlei Gründe haben. Bei jungen Männern, die entweder Neigung und Beruf zur dramatischen Kunst, zur theatralischen Poesie in sich selbst spüren, oder doch von deren Wir- kungen entzündet sind, ist es begreiflich, daß sie mit Denen umzugehen trachten, welche Beides üben und darstellen. Sie erblicken in ihnen nur die Priester vom Tempeldienste des Schönen; halten sich an ihre besseren persönlichen Eigenschaften; übersehen, ent- schuldigen, verzeihen ihre Schwächen und Fehler. Ja sogar, wenn sinnliche Verirrungen den Konflikt mit Schauspielerinnen herbeiführen, bleiben sie doch auf der Höhe reiner Begeisterung für eine Sache, um
„Warum, wenn es nicht ſo waͤre, wuͤrden ſo viele junge Leute die Geſellſchaft von Schauſpielern auf- ſuchen? Wie Sie ſelbſt mir neulich erzaͤhlten, als wir von meinem und Adelens Gegner, dem kleinen Grafen redeten?“
Warum? Kind, das iſt ein kurzes Frage-Wort, brauchte aber eine lange Antwort, ſollte dieſelbe er- ſchoͤpfend ſein. Zu ſolcher hab’ ich heute nicht Muße, denn ich ſoll noch einigen meiner Kundſchaften auf dem Wege zum Friedhofe behuͤlflich werden; nehmen Sie alſo mit einer kurzen vorlieb: Die Sucht mit Schauſpielern zu verkehren, kann zweierlei Gruͤnde haben. Bei jungen Maͤnnern, die entweder Neigung und Beruf zur dramatiſchen Kunſt, zur theatraliſchen Poeſie in ſich ſelbſt ſpuͤren, oder doch von deren Wir- kungen entzuͤndet ſind, iſt es begreiflich, daß ſie mit Denen umzugehen trachten, welche Beides uͤben und darſtellen. Sie erblicken in ihnen nur die Prieſter vom Tempeldienſte des Schoͤnen; halten ſich an ihre beſſeren perſoͤnlichen Eigenſchaften; uͤberſehen, ent- ſchuldigen, verzeihen ihre Schwaͤchen und Fehler. Ja ſogar, wenn ſinnliche Verirrungen den Konflikt mit Schauſpielerinnen herbeifuͤhren, bleiben ſie doch auf der Hoͤhe reiner Begeiſterung fuͤr eine Sache, um
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„Warum, wenn es nicht ſo waͤre, wuͤrden ſo viele
junge Leute die Geſellſchaft von Schauſpielern auf-
ſuchen? Wie Sie ſelbſt mir neulich erzaͤhlten, als wir
von meinem und Adelens Gegner, dem kleinen Grafen
redeten?“
Warum? Kind, das iſt ein kurzes Frage-Wort,
brauchte aber eine lange Antwort, ſollte dieſelbe er-
ſchoͤpfend ſein. Zu ſolcher hab’ ich heute nicht Muße,
denn ich ſoll noch einigen meiner Kundſchaften auf
dem Wege zum Friedhofe behuͤlflich werden; nehmen
Sie alſo mit einer kurzen vorlieb: Die Sucht mit
Schauſpielern zu verkehren, kann zweierlei Gruͤnde
haben. Bei jungen Maͤnnern, die entweder Neigung
und Beruf zur dramatiſchen Kunſt, zur theatraliſchen
Poeſie in ſich ſelbſt ſpuͤren, oder doch von deren Wir-
kungen entzuͤndet ſind, iſt es begreiflich, daß ſie mit
Denen umzugehen trachten, welche Beides uͤben und
darſtellen. Sie erblicken in ihnen nur die Prieſter
vom Tempeldienſte des Schoͤnen; halten ſich an ihre
beſſeren perſoͤnlichen Eigenſchaften; uͤberſehen, ent-
ſchuldigen, verzeihen ihre Schwaͤchen und Fehler. Ja
ſogar, wenn ſinnliche Verirrungen den Konflikt mit
Schauſpielerinnen herbeifuͤhren, bleiben ſie doch auf
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/86>, abgerufen am 25.11.2024.
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