deren Willen unliebenswürdige Personen liebens- würdig erscheinen können. Diese Art von Verkehr kann ich weder schädlich noch gefährlich finden. Eltern und Erzieher haben Unrecht, darüber zu klagen und die Schuld auf den Umgang mit Schauspielern zu schieben, wenn solche Bursche, dem Verbot entgegen, auf die Bretter laufen. Denn das würden sie, früher oder später auch ohne solchen Umgang gethan haben, wofern ihr Trieb wirklich ein unbesieglicher war. Jst er dies aber nicht, dann dient gerade die nähere Bekanntschaft mit Theaterleuten dazu, sehr nützliche Enttäuschungen hervorzubringen: Man lernt endlich Sache und Personen von einander sondern und bleibt der Liebe zur Kunst getreu, ohne auf die Künstler zu schwören. Das ist, wie Sie mich alten Kerl hier vor sich sehen, mein eigener casus gewesen. Als ich vor beinahe vierzig Jahren, ein munterer Junge in Jhrem Alter, von der Universität zurückkehrte, gefiel mir das Döbbelinische Theater ungleich besser, wie das ana- tomische. Wir besaßen damals noch keine stehende Bühne; reisende Schauspielunternehmer wechselten mit ihren Truppen. O mein lieber Antoine, Sie merken es diesem grauen Kopfe nicht an, wie süß heute noch die Namen: "Witthöft, Mekour, Brück-
deren Willen unliebenswuͤrdige Perſonen liebens- wuͤrdig erſcheinen koͤnnen. Dieſe Art von Verkehr kann ich weder ſchaͤdlich noch gefaͤhrlich finden. Eltern und Erzieher haben Unrecht, daruͤber zu klagen und die Schuld auf den Umgang mit Schauſpielern zu ſchieben, wenn ſolche Burſche, dem Verbot entgegen, auf die Bretter laufen. Denn das wuͤrden ſie, fruͤher oder ſpaͤter auch ohne ſolchen Umgang gethan haben, wofern ihr Trieb wirklich ein unbeſieglicher war. Jſt er dies aber nicht, dann dient gerade die naͤhere Bekanntſchaft mit Theaterleuten dazu, ſehr nuͤtzliche Enttaͤuſchungen hervorzubringen: Man lernt endlich Sache und Perſonen von einander ſondern und bleibt der Liebe zur Kunſt getreu, ohne auf die Kuͤnſtler zu ſchwoͤren. Das iſt, wie Sie mich alten Kerl hier vor ſich ſehen, mein eigener casus geweſen. Als ich vor beinahe vierzig Jahren, ein munterer Junge in Jhrem Alter, von der Univerſitaͤt zuruͤckkehrte, gefiel mir das Doͤbbeliniſche Theater ungleich beſſer, wie das ana- tomiſche. Wir beſaßen damals noch keine ſtehende Buͤhne; reiſende Schauſpielunternehmer wechſelten mit ihren Truppen. O mein lieber Antoine, Sie merken es dieſem grauen Kopfe nicht an, wie ſuͤß heute noch die Namen: „Witthoͤft, Mekour, Bruͤck-
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deren Willen unliebenswuͤrdige Perſonen liebens-
wuͤrdig erſcheinen koͤnnen. Dieſe Art von Verkehr
kann ich weder ſchaͤdlich noch gefaͤhrlich finden. Eltern
und Erzieher haben Unrecht, daruͤber zu klagen und
die Schuld auf den Umgang mit Schauſpielern zu
ſchieben, wenn ſolche Burſche, dem Verbot entgegen,
auf die Bretter laufen. Denn das wuͤrden ſie, fruͤher
oder ſpaͤter auch ohne ſolchen Umgang gethan haben,
wofern ihr Trieb wirklich ein unbeſieglicher war.
Jſt er dies aber nicht, dann dient gerade die naͤhere
Bekanntſchaft mit Theaterleuten dazu, ſehr nuͤtzliche
Enttaͤuſchungen hervorzubringen: Man lernt endlich
Sache und Perſonen von einander ſondern und bleibt
der Liebe zur Kunſt getreu, ohne auf die Kuͤnſtler zu
ſchwoͤren. Das iſt, wie Sie mich alten Kerl hier vor
ſich ſehen, mein eigener casus geweſen. Als ich vor
beinahe vierzig Jahren, ein munterer Junge in Jhrem
Alter, von der Univerſitaͤt zuruͤckkehrte, gefiel mir das
Doͤbbeliniſche Theater ungleich beſſer, wie das ana-
tomiſche. Wir beſaßen damals noch keine ſtehende
Buͤhne; reiſende Schauſpielunternehmer wechſelten
mit ihren Truppen. O mein lieber Antoine, Sie
merken es dieſem grauen Kopfe nicht an, wie ſuͤß
heute noch die Namen: „Witthoͤft, Mekour, Bruͤck-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/87>, abgerufen am 25.11.2024.
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