Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Schmutze des Lebens befleckten Persönlichkeit, bis zu
ihr, die ihm ein Vorbild kindlicher Unschuld und Rein-
heit erschien, dünkte ihn so weit, daß ein Gedanke an
Annäherung nicht in ihm aufsteigen konnte. Wenn
sie ihn ansah, was allerdings bisweilen geschehen
mochte, schlug er beschämt die Augen zu Boden, --
aber auch dann empfand er den beseligenden Zauber
der ihrigen, bis tief in die innerste Seele. Dann zit-
terten die Töne seines Jnstrumentes wunderbar und
er legte in die leichten, tausendmal gespielten Tanz-
weisen einen Ausdruck, wie noch kein Musikant gethan,
der je vor ihm aufgespielt hat.

Wenn man sich mit allen Kräften, Erwartungen,
mit aller Sehnsucht auf eine bestimmte Stunde rich-
tet, die wöchentlich nur zweimal schlägt; wenn man
in diese sechszig Minuten eine ganze Welt von Be-
wunderung, Verehrung, Begeisterung, Entzückung
und -- Entsagung zu drängen weiß; wenn man die
übrigen Tage der Woche nur als Ergebniß leerer
Stunden und Minuten betrachtet, die lediglich zu
verrinnen haben, damit jene eine Stunde bald wie-
der erscheine..... dann sollte jeder glauben, der etwas
Aehnliches noch nicht durchgemacht, müsse dem unge-
duldig Harrenden die Zeit fürchterlich lang werden!?

Schmutze des Lebens befleckten Perſoͤnlichkeit, bis zu
ihr, die ihm ein Vorbild kindlicher Unſchuld und Rein-
heit erſchien, duͤnkte ihn ſo weit, daß ein Gedanke an
Annaͤherung nicht in ihm aufſteigen konnte. Wenn
ſie ihn anſah, was allerdings bisweilen geſchehen
mochte, ſchlug er beſchaͤmt die Augen zu Boden, —
aber auch dann empfand er den beſeligenden Zauber
der ihrigen, bis tief in die innerſte Seele. Dann zit-
terten die Toͤne ſeines Jnſtrumentes wunderbar und
er legte in die leichten, tauſendmal geſpielten Tanz-
weiſen einen Ausdruck, wie noch kein Muſikant gethan,
der je vor ihm aufgeſpielt hat.

Wenn man ſich mit allen Kraͤften, Erwartungen,
mit aller Sehnſucht auf eine beſtimmte Stunde rich-
tet, die woͤchentlich nur zweimal ſchlaͤgt; wenn man
in dieſe ſechszig Minuten eine ganze Welt von Be-
wunderung, Verehrung, Begeiſterung, Entzuͤckung
und — Entſagung zu draͤngen weiß; wenn man die
uͤbrigen Tage der Woche nur als Ergebniß leerer
Stunden und Minuten betrachtet, die lediglich zu
verrinnen haben, damit jene eine Stunde bald wie-
der erſcheine..... dann ſollte jeder glauben, der etwas
Aehnliches noch nicht durchgemacht, muͤſſe dem unge-
duldig Harrenden die Zeit fuͤrchterlich lang werden!?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="150"/>
Schmutze des Lebens befleckten Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit, bis zu<lb/>
ihr, die ihm ein Vorbild kindlicher Un&#x017F;chuld und Rein-<lb/>
heit er&#x017F;chien, du&#x0364;nkte ihn &#x017F;o weit, daß ein Gedanke an<lb/>
Anna&#x0364;herung nicht in ihm auf&#x017F;teigen konnte. Wenn<lb/>
&#x017F;ie ihn an&#x017F;ah, was allerdings bisweilen ge&#x017F;chehen<lb/>
mochte, &#x017F;chlug er be&#x017F;cha&#x0364;mt die Augen zu Boden, &#x2014;<lb/>
aber auch dann empfand er den be&#x017F;eligenden Zauber<lb/>
der ihrigen, bis tief in die inner&#x017F;te Seele. Dann zit-<lb/>
terten die To&#x0364;ne &#x017F;eines Jn&#x017F;trumentes wunderbar und<lb/>
er legte in die leichten, tau&#x017F;endmal ge&#x017F;pielten Tanz-<lb/>
wei&#x017F;en einen Ausdruck, wie noch kein Mu&#x017F;ikant gethan,<lb/>
der je vor ihm aufge&#x017F;pielt hat.</p><lb/>
        <p>Wenn man &#x017F;ich mit allen Kra&#x0364;ften, Erwartungen,<lb/>
mit aller Sehn&#x017F;ucht auf eine be&#x017F;timmte Stunde rich-<lb/>
tet, die wo&#x0364;chentlich nur zweimal &#x017F;chla&#x0364;gt; wenn man<lb/>
in die&#x017F;e &#x017F;echszig Minuten eine ganze Welt von Be-<lb/>
wunderung, Verehrung, Begei&#x017F;terung, Entzu&#x0364;ckung<lb/>
und &#x2014; Ent&#x017F;agung zu dra&#x0364;ngen weiß; wenn man die<lb/>
u&#x0364;brigen Tage der Woche nur als Ergebniß leerer<lb/>
Stunden und Minuten betrachtet, die lediglich zu<lb/>
verrinnen haben, damit jene <hi rendition="#g">eine</hi> Stunde bald wie-<lb/>
der er&#x017F;cheine..... dann &#x017F;ollte jeder glauben, der etwas<lb/>
Aehnliches noch nicht durchgemacht, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e dem unge-<lb/>
duldig Harrenden die Zeit fu&#x0364;rchterlich lang werden!?<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0154] Schmutze des Lebens befleckten Perſoͤnlichkeit, bis zu ihr, die ihm ein Vorbild kindlicher Unſchuld und Rein- heit erſchien, duͤnkte ihn ſo weit, daß ein Gedanke an Annaͤherung nicht in ihm aufſteigen konnte. Wenn ſie ihn anſah, was allerdings bisweilen geſchehen mochte, ſchlug er beſchaͤmt die Augen zu Boden, — aber auch dann empfand er den beſeligenden Zauber der ihrigen, bis tief in die innerſte Seele. Dann zit- terten die Toͤne ſeines Jnſtrumentes wunderbar und er legte in die leichten, tauſendmal geſpielten Tanz- weiſen einen Ausdruck, wie noch kein Muſikant gethan, der je vor ihm aufgeſpielt hat. Wenn man ſich mit allen Kraͤften, Erwartungen, mit aller Sehnſucht auf eine beſtimmte Stunde rich- tet, die woͤchentlich nur zweimal ſchlaͤgt; wenn man in dieſe ſechszig Minuten eine ganze Welt von Be- wunderung, Verehrung, Begeiſterung, Entzuͤckung und — Entſagung zu draͤngen weiß; wenn man die uͤbrigen Tage der Woche nur als Ergebniß leerer Stunden und Minuten betrachtet, die lediglich zu verrinnen haben, damit jene eine Stunde bald wie- der erſcheine..... dann ſollte jeder glauben, der etwas Aehnliches noch nicht durchgemacht, muͤſſe dem unge- duldig Harrenden die Zeit fuͤrchterlich lang werden!?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/154
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/154>, abgerufen am 04.12.2024.