Nacht; ich sah den letzten Schimmer an ihren Fen- stern verlöschen und rief ihnen noch einmal meine Verwünschungen als Schlaflied von der Brücke hinab! Der Gedanke, daß sie, die mich so elend gemacht, ruhig schlafen mochten, gab mir neuen Grimm gegen mich und mein Schicksal. Jch schwang mich auf das Brückengeländer hinauf, gerade neben dem katholischen Steinbilde, welches den heil. Nepomuck darstellt. Jch umfaßte den naßkalten Johannes und schrie in ihn hinein, wie ich es oftmals aus Christi- nen's heuchlerischem Munde vernommen, "heiliger Johannes von Nepomuck bitte für mich!" Dies aus- gerufen, nahm ich einen Ansatz und wollte mich in den Tod stürzen .... da erscholl der Klang eines Posthorn's, die Gasse entlang die zur Brücke führt. Jch wußte, daß um diese Stunde kein Postwagen abging; dennoch hörte ich deutlich das Rasseln der Räder durch den betäubenden Lärm des Wassers. Ein Posthorn, bei der Nacht ertönend, hatte für mich von Kindheit auf immer etwas Verlockendes: der Trieb zu reisen, andere Länder zu sehen, verband sich dabei mit einer unbeschreiblichen Wehmuth. Es war mir, wie wenn dieser alte, liebe Ton mich zurückhielte im Leben, wie wenn er mir zuriefe: suche den Tod
Nacht; ich ſah den letzten Schimmer an ihren Fen- ſtern verloͤſchen und rief ihnen noch einmal meine Verwuͤnſchungen als Schlaflied von der Bruͤcke hinab! Der Gedanke, daß ſie, die mich ſo elend gemacht, ruhig ſchlafen mochten, gab mir neuen Grimm gegen mich und mein Schickſal. Jch ſchwang mich auf das Bruͤckengelaͤnder hinauf, gerade neben dem katholiſchen Steinbilde, welches den heil. Nepomuck darſtellt. Jch umfaßte den naßkalten Johannes und ſchrie in ihn hinein, wie ich es oftmals aus Chriſti- nen’s heuchleriſchem Munde vernommen, „heiliger Johannes von Nepomuck bitte fuͤr mich!“ Dies aus- gerufen, nahm ich einen Anſatz und wollte mich in den Tod ſtuͤrzen .... da erſcholl der Klang eines Poſthorn’s, die Gaſſe entlang die zur Bruͤcke fuͤhrt. Jch wußte, daß um dieſe Stunde kein Poſtwagen abging; dennoch hoͤrte ich deutlich das Raſſeln der Raͤder durch den betaͤubenden Laͤrm des Waſſers. Ein Poſthorn, bei der Nacht ertoͤnend, hatte fuͤr mich von Kindheit auf immer etwas Verlockendes: der Trieb zu reiſen, andere Laͤnder zu ſehen, verband ſich dabei mit einer unbeſchreiblichen Wehmuth. Es war mir, wie wenn dieſer alte, liebe Ton mich zuruͤckhielte im Leben, wie wenn er mir zuriefe: ſuche den Tod
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Nacht; ich ſah den letzten Schimmer an ihren Fen-
ſtern verloͤſchen und rief ihnen noch einmal meine
Verwuͤnſchungen als Schlaflied von der Bruͤcke
hinab! Der Gedanke, daß ſie, die mich ſo elend
gemacht, ruhig ſchlafen mochten, gab mir neuen Grimm
gegen mich und mein Schickſal. Jch ſchwang mich
auf das Bruͤckengelaͤnder hinauf, gerade neben dem
katholiſchen Steinbilde, welches den heil. Nepomuck
darſtellt. Jch umfaßte den naßkalten Johannes und
ſchrie in ihn hinein, wie ich es oftmals aus Chriſti-
nen’s heuchleriſchem Munde vernommen, „heiliger
Johannes von Nepomuck bitte fuͤr mich!“ Dies aus-
gerufen, nahm ich einen Anſatz und wollte mich in
den Tod ſtuͤrzen .... da erſcholl der Klang eines
Poſthorn’s, die Gaſſe entlang die zur Bruͤcke fuͤhrt.
Jch wußte, daß um dieſe Stunde kein Poſtwagen
abging; dennoch hoͤrte ich deutlich das Raſſeln der
Raͤder durch den betaͤubenden Laͤrm des Waſſers.
Ein Poſthorn, bei der Nacht ertoͤnend, hatte fuͤr mich
von Kindheit auf immer etwas Verlockendes: der
Trieb zu reiſen, andere Laͤnder zu ſehen, verband ſich
dabei mit einer unbeſchreiblichen Wehmuth. Es war
mir, wie wenn dieſer alte, liebe Ton mich zuruͤckhielte
im Leben, wie wenn er mir zuriefe: ſuche den Tod
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/224>, abgerufen am 04.12.2024.
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