Wunsch. Jch hatte ein unbestimmtes Vorgefühl, daß es anderer Gegenden bedürfe, sollt' ich ein neues Dasein beginnen, fremden Himmels, fremder Sit- ten, eines fremden Namens für mich. Die Kantors- tochter, die Geliebte des Grafen Guido, die Mutter des kleinen Anton -- (o ich bedauernswerthes Weib!) -- mußte wirklich gestorben sein, Allen die von ihr wußten, wenn dasjenige, was in mir noch lebendig waltete und strebte, sich auf irgend eine Art geltend machen wollte.
Mittlerweile war ich der Landesgrenze immer näher gekommen. Von der Nothwendigkeit eines schriftlichen Ausweises über meine Person hatte ich eben so wenig Kenntniß, als Du mein Sohn gehabt, da Du bei der Simonelli anlangtest, wie ich aus Deinen eigenen Erzählungen weiß. Du konntest, wenn Du mir von Deinem Leben berichtetest, wohl nicht ahnen, mit welch' eigenthümlichen Empfindun- gen die Mutter allen Momenten lauschte, wo das Schick- sal des Sohnes Aehnlichkeit mit dem ihrigen zeigte.
Mir wurd' es nicht so gut, den Paß einer Ent- wichenen zu erben, wie Du jenen des nach Rußland übergetretenen Antoine. Jch hatte noch schwer zu lei- den, bevor ich diese kleinliche Noth überwunden. Jch
Wunſch. Jch hatte ein unbeſtimmtes Vorgefuͤhl, daß es anderer Gegenden beduͤrfe, ſollt’ ich ein neues Daſein beginnen, fremden Himmels, fremder Sit- ten, eines fremden Namens fuͤr mich. Die Kantors- tochter, die Geliebte des Grafen Guido, die Mutter des kleinen Anton — (o ich bedauernswerthes Weib!) — mußte wirklich geſtorben ſein, Allen die von ihr wußten, wenn dasjenige, was in mir noch lebendig waltete und ſtrebte, ſich auf irgend eine Art geltend machen wollte.
Mittlerweile war ich der Landesgrenze immer naͤher gekommen. Von der Nothwendigkeit eines ſchriftlichen Ausweiſes uͤber meine Perſon hatte ich eben ſo wenig Kenntniß, als Du mein Sohn gehabt, da Du bei der Simonelli anlangteſt, wie ich aus Deinen eigenen Erzaͤhlungen weiß. Du konnteſt, wenn Du mir von Deinem Leben berichteteſt, wohl nicht ahnen, mit welch’ eigenthuͤmlichen Empfindun- gen die Mutter allen Momenten lauſchte, wo das Schick- ſal des Sohnes Aehnlichkeit mit dem ihrigen zeigte.
Mir wurd’ es nicht ſo gut, den Paß einer Ent- wichenen zu erben, wie Du jenen des nach Rußland uͤbergetretenen Antoine. Jch hatte noch ſchwer zu lei- den, bevor ich dieſe kleinliche Noth uͤberwunden. Jch
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Wunſch. Jch hatte ein unbeſtimmtes Vorgefuͤhl,
daß es anderer Gegenden beduͤrfe, ſollt’ ich ein neues
Daſein beginnen, fremden Himmels, fremder Sit-
ten, eines fremden Namens fuͤr mich. Die Kantors-
tochter, die Geliebte des Grafen Guido, die Mutter
des kleinen Anton — (o ich bedauernswerthes Weib!)
— mußte wirklich geſtorben ſein, Allen die von ihr
wußten, wenn dasjenige, was in mir noch lebendig
waltete und ſtrebte, ſich auf irgend eine Art geltend
machen wollte.
Mittlerweile war ich der Landesgrenze immer
naͤher gekommen. Von der Nothwendigkeit eines
ſchriftlichen Ausweiſes uͤber meine Perſon hatte ich
eben ſo wenig Kenntniß, als Du mein Sohn gehabt,
da Du bei der Simonelli anlangteſt, wie ich aus
Deinen eigenen Erzaͤhlungen weiß. Du konnteſt,
wenn Du mir von Deinem Leben berichteteſt, wohl
nicht ahnen, mit welch’ eigenthuͤmlichen Empfindun-
gen die Mutter allen Momenten lauſchte, wo das Schick-
ſal des Sohnes Aehnlichkeit mit dem ihrigen zeigte.
Mir wurd’ es nicht ſo gut, den Paß einer Ent-
wichenen zu erben, wie Du jenen des nach Rußland
uͤbergetretenen Antoine. Jch hatte noch ſchwer zu lei-
den, bevor ich dieſe kleinliche Noth uͤberwunden. Jch
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/253>, abgerufen am 19.05.2024.
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