Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

suchte meine nähere Bekanntschaft, die zu machen ihm
desto leichter wurde, weil er sich bald als Landsmann
kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unse-
rer Muttersprache den Sohn des ehrlichen Karich in
ihm erkannte; des armen Gerbermeisters, der mich
bei meiner Flucht so väterlich aufgenommen. Es
machte auf diesen leidenschaftlichen jungen Mann tie-
fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen,
welch' bittern Schmerz sein Entweichen den armen
Eltern verursache! Leider durft' ich ihm keine Vor-
würfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu
tadeln, der seine Eltern betrübte, während ich das
Bewußtsein in meinem Busen trug, nicht blos, gleich
ihm, ein undankbares Kind, sondern auch eine schlechte
Mutter zu heißen; wobei ich doch ängstlich und vor-
sichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch
den Namen meiner Eltern, oder sonst irgend etwas
zu nennen, was Andere kompromittiren könne.
Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, --
immer wieder durch die Macht des Augenblicks über-
wältiget! -- gleiche Liebe für die Tonkunst, und daß
ich's nur gestehe: gleicher Hang zum Leichtsinn führte
uns Beide in's vertrauteste Beisammenleben. Jch
galt für sein Weib und nannte mich bald nach ihm

ſuchte meine naͤhere Bekanntſchaft, die zu machen ihm
deſto leichter wurde, weil er ſich bald als Landsmann
kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unſe-
rer Mutterſprache den Sohn des ehrlichen Karich in
ihm erkannte; des armen Gerbermeiſters, der mich
bei meiner Flucht ſo vaͤterlich aufgenommen. Es
machte auf dieſen leidenſchaftlichen jungen Mann tie-
fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen,
welch’ bittern Schmerz ſein Entweichen den armen
Eltern verurſache! Leider durft’ ich ihm keine Vor-
wuͤrfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu
tadeln, der ſeine Eltern betruͤbte, waͤhrend ich das
Bewußtſein in meinem Buſen trug, nicht blos, gleich
ihm, ein undankbares Kind, ſondern auch eine ſchlechte
Mutter zu heißen; wobei ich doch aͤngſtlich und vor-
ſichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch
den Namen meiner Eltern, oder ſonſt irgend etwas
zu nennen, was Andere kompromittiren koͤnne.
Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, —
immer wieder durch die Macht des Augenblicks uͤber-
waͤltiget! — gleiche Liebe fuͤr die Tonkunſt, und daß
ich’s nur geſtehe: gleicher Hang zum Leichtſinn fuͤhrte
uns Beide in’s vertrauteſte Beiſammenleben. Jch
galt fuͤr ſein Weib und nannte mich bald nach ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="260"/>
&#x017F;uchte meine na&#x0364;here Bekannt&#x017F;chaft, die zu machen ihm<lb/>
de&#x017F;to leichter wurde, weil er &#x017F;ich bald als Landsmann<lb/>
kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in un&#x017F;e-<lb/>
rer Mutter&#x017F;prache den Sohn des ehrlichen Karich in<lb/>
ihm erkannte; des armen Gerbermei&#x017F;ters, der mich<lb/>
bei meiner Flucht &#x017F;o va&#x0364;terlich aufgenommen. Es<lb/>
machte auf die&#x017F;en leiden&#x017F;chaftlichen jungen Mann tie-<lb/>
fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen,<lb/>
welch&#x2019; bittern Schmerz &#x017F;ein Entweichen den armen<lb/>
Eltern verur&#x017F;ache! Leider durft&#x2019; ich ihm keine Vor-<lb/>
wu&#x0364;rfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu<lb/>
tadeln, der &#x017F;eine Eltern betru&#x0364;bte, wa&#x0364;hrend ich das<lb/>
Bewußt&#x017F;ein in meinem Bu&#x017F;en trug, nicht blos, gleich<lb/>
ihm, ein undankbares Kind, &#x017F;ondern auch eine &#x017F;chlechte<lb/>
Mutter zu heißen; wobei ich doch a&#x0364;ng&#x017F;tlich und vor-<lb/>
&#x017F;ichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch<lb/>
den Namen meiner Eltern, oder &#x017F;on&#x017F;t irgend etwas<lb/>
zu nennen, was Andere kompromittiren ko&#x0364;nne.<lb/>
Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, &#x2014;<lb/>
immer wieder durch die Macht des Augenblicks u&#x0364;ber-<lb/>
wa&#x0364;ltiget! &#x2014; gleiche Liebe fu&#x0364;r die Tonkun&#x017F;t, und daß<lb/>
ich&#x2019;s nur ge&#x017F;tehe: gleicher Hang zum Leicht&#x017F;inn fu&#x0364;hrte<lb/>
uns Beide in&#x2019;s vertraute&#x017F;te Bei&#x017F;ammenleben. Jch<lb/>
galt fu&#x0364;r &#x017F;ein Weib und nannte mich bald nach ihm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0264] ſuchte meine naͤhere Bekanntſchaft, die zu machen ihm deſto leichter wurde, weil er ſich bald als Landsmann kund gab; weil ich nach kurzer Unterhaltung in unſe- rer Mutterſprache den Sohn des ehrlichen Karich in ihm erkannte; des armen Gerbermeiſters, der mich bei meiner Flucht ſo vaͤterlich aufgenommen. Es machte auf dieſen leidenſchaftlichen jungen Mann tie- fen Eindruck, aus meinem Munde zu vernehmen, welch’ bittern Schmerz ſein Entweichen den armen Eltern verurſache! Leider durft’ ich ihm keine Vor- wuͤrfe machen; hatte leider kein Recht mehr, ihn zu tadeln, der ſeine Eltern betruͤbte, waͤhrend ich das Bewußtſein in meinem Buſen trug, nicht blos, gleich ihm, ein undankbares Kind, ſondern auch eine ſchlechte Mutter zu heißen; wobei ich doch aͤngſtlich und vor- ſichtig Sorge trug, weder meinen Geburtsort, noch den Namen meiner Eltern, oder ſonſt irgend etwas zu nennen, was Andere kompromittiren koͤnne. Gleiche Schuld, gleiches Leid, gleiche Reue, — immer wieder durch die Macht des Augenblicks uͤber- waͤltiget! — gleiche Liebe fuͤr die Tonkunſt, und daß ich’s nur geſtehe: gleicher Hang zum Leichtſinn fuͤhrte uns Beide in’s vertrauteſte Beiſammenleben. Jch galt fuͤr ſein Weib und nannte mich bald nach ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/264
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/264>, abgerufen am 04.12.2024.