Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Die reisende Unternehmung quälte sich mühsam
von Ort zu Ort, um bald gänzlich zu zerfallen. Der
Jmpresario entfloh bei Nacht und Nebel; ich blieb
mit meinen leeren Ansprüchen zurück, ohne Geld,
ohne Aussicht, ohne Stütze, krank; ach, schon krank
zum Tode.

Da traf sich's, daß der greise Puppenspieler durch
seines Gehülfen Perfidie um Weib und Beistand
gebracht wurde. Er hausete in demselben traurigen
Gasthofe, den ich bewohnte. Seine Verlegenheit,
meine Noth fanden sich. Mir blieb die Wahl, aus
dem unbezahlten Bodenstübchen geworfen, zu ver-
hungern, oder seinen Vorschlag anzunehmen. Jch
erwählte das Letztere und gestattete ihm, daß er mich
seine Frau nenne, vor den Leuten; gelobte ihm die
Stelle der Entlaufenen bei den Marionetten zu über-
nehmen; dagegen mußte er mir geloben keiner Seele
zu verrathen, daß ich eine herabgekommene italie-
nische Prima Donna sei. Er hat sein Wort gehal-
ten, ich hielt das meinige.

Und da erschienst Du!

Ob ich Dich erkannte, ob ich gleich bei Deinem
ersten Anblick wußte, wer Du sei'st? Magst Du es
glauben oder nicht: Deine Mutter begrüßte Dich als

Die reiſende Unternehmung quaͤlte ſich muͤhſam
von Ort zu Ort, um bald gaͤnzlich zu zerfallen. Der
Jmpreſario entfloh bei Nacht und Nebel; ich blieb
mit meinen leeren Anſpruͤchen zuruͤck, ohne Geld,
ohne Ausſicht, ohne Stuͤtze, krank; ach, ſchon krank
zum Tode.

Da traf ſich’s, daß der greiſe Puppenſpieler durch
ſeines Gehuͤlfen Perfidie um Weib und Beiſtand
gebracht wurde. Er hauſete in demſelben traurigen
Gaſthofe, den ich bewohnte. Seine Verlegenheit,
meine Noth fanden ſich. Mir blieb die Wahl, aus
dem unbezahlten Bodenſtuͤbchen geworfen, zu ver-
hungern, oder ſeinen Vorſchlag anzunehmen. Jch
erwaͤhlte das Letztere und geſtattete ihm, daß er mich
ſeine Frau nenne, vor den Leuten; gelobte ihm die
Stelle der Entlaufenen bei den Marionetten zu uͤber-
nehmen; dagegen mußte er mir geloben keiner Seele
zu verrathen, daß ich eine herabgekommene italie-
niſche Prima Donna ſei. Er hat ſein Wort gehal-
ten, ich hielt das meinige.

Und da erſchienſt Du!

Ob ich Dich erkannte, ob ich gleich bei Deinem
erſten Anblick wußte, wer Du ſei’ſt? Magſt Du es
glauben oder nicht: Deine Mutter begruͤßte Dich als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0273" n="269"/>
        <p>Die rei&#x017F;ende Unternehmung qua&#x0364;lte &#x017F;ich mu&#x0364;h&#x017F;am<lb/>
von Ort zu Ort, um bald ga&#x0364;nzlich zu zerfallen. Der<lb/>
Jmpre&#x017F;ario entfloh bei Nacht und Nebel; ich blieb<lb/>
mit meinen leeren An&#x017F;pru&#x0364;chen zuru&#x0364;ck, ohne Geld,<lb/>
ohne Aus&#x017F;icht, ohne Stu&#x0364;tze, krank; ach, &#x017F;chon krank<lb/>
zum Tode.</p><lb/>
        <p>Da traf &#x017F;ich&#x2019;s, daß der grei&#x017F;e Puppen&#x017F;pieler durch<lb/>
&#x017F;eines Gehu&#x0364;lfen Perfidie um Weib und Bei&#x017F;tand<lb/>
gebracht wurde. Er hau&#x017F;ete in dem&#x017F;elben traurigen<lb/>
Ga&#x017F;thofe, den ich bewohnte. Seine Verlegenheit,<lb/>
meine Noth fanden &#x017F;ich. Mir blieb die Wahl, aus<lb/>
dem unbezahlten Boden&#x017F;tu&#x0364;bchen geworfen, zu ver-<lb/>
hungern, oder &#x017F;einen Vor&#x017F;chlag anzunehmen. Jch<lb/>
erwa&#x0364;hlte das Letztere und ge&#x017F;tattete ihm, daß er mich<lb/>
&#x017F;eine Frau nenne, vor den Leuten; gelobte ihm die<lb/>
Stelle der Entlaufenen bei den Marionetten zu u&#x0364;ber-<lb/>
nehmen; dagegen mußte er mir geloben keiner Seele<lb/>
zu verrathen, daß ich eine herabgekommene italie-<lb/>
ni&#x017F;che Prima Donna &#x017F;ei. Er hat &#x017F;ein Wort gehal-<lb/>
ten, ich hielt das meinige.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Und da er&#x017F;chien&#x017F;t</hi> Du!</p><lb/>
        <p>Ob ich Dich erkannte, ob ich gleich bei Deinem<lb/>
er&#x017F;ten Anblick wußte, wer Du &#x017F;ei&#x2019;&#x017F;t? Mag&#x017F;t Du es<lb/>
glauben oder nicht: Deine Mutter begru&#x0364;ßte Dich als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0273] Die reiſende Unternehmung quaͤlte ſich muͤhſam von Ort zu Ort, um bald gaͤnzlich zu zerfallen. Der Jmpreſario entfloh bei Nacht und Nebel; ich blieb mit meinen leeren Anſpruͤchen zuruͤck, ohne Geld, ohne Ausſicht, ohne Stuͤtze, krank; ach, ſchon krank zum Tode. Da traf ſich’s, daß der greiſe Puppenſpieler durch ſeines Gehuͤlfen Perfidie um Weib und Beiſtand gebracht wurde. Er hauſete in demſelben traurigen Gaſthofe, den ich bewohnte. Seine Verlegenheit, meine Noth fanden ſich. Mir blieb die Wahl, aus dem unbezahlten Bodenſtuͤbchen geworfen, zu ver- hungern, oder ſeinen Vorſchlag anzunehmen. Jch erwaͤhlte das Letztere und geſtattete ihm, daß er mich ſeine Frau nenne, vor den Leuten; gelobte ihm die Stelle der Entlaufenen bei den Marionetten zu uͤber- nehmen; dagegen mußte er mir geloben keiner Seele zu verrathen, daß ich eine herabgekommene italie- niſche Prima Donna ſei. Er hat ſein Wort gehal- ten, ich hielt das meinige. Und da erſchienſt Du! Ob ich Dich erkannte, ob ich gleich bei Deinem erſten Anblick wußte, wer Du ſei’ſt? Magſt Du es glauben oder nicht: Deine Mutter begruͤßte Dich als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/273
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/273>, abgerufen am 04.12.2024.