Bald bringt man mir mein kleines Mädchen zurück, es hat einen Namen, es ist ein menschliches Wesen, es wächst heran in meiner Sorge und Pflege, ich bin die glücklichste Mutter, die reichste Frau auf Erden. Wär' es nicht schändliche Selbstsucht von mir, sträfliche Ungenügsamkeit, wollt' ich zu all' mei- nen Schätzen auch noch die Herrschaft über Dich fügen? Wollt' ich auf Deine Liebe, Deine Redlich- keit trotzend, dich eigensinnig festhalten; Dich hin- dern, die Flügel zu regen, die das Bedürfniß fühlen, sich zu entfalten? Sieh', das mußt' ich Dir sagen; es kommt mir aus der Seele! Sei frei! Sei, wie wenn Du kein Weib hättest! Zieh' hinaus und reise! Treibe Dich in der weiten Welt umher! Durchstreife Länder und Meere! Mache was Du willst, Anton; unternimm, wozu die Neigung Dich auffordert! Jch werde nicht klagen, nicht weinen, nicht grollen. Jch werde mit meiner Tochter hier bleiben, eine treue Hausfrau, eine gute Wirthin sein und wenn Du wie- der einmal heimkehrst, werd' ich Dich eben so freund- lich, eben so unbefangen begrüßen, wie ich gestern that, als Du aus unserem Walde heimkehrtest. Denn daß Du manchmal kommen wirst, nach Deiner Hed- wig zu schauen, Dein Kind zu küssen, das weiß ich.
Bald bringt man mir mein kleines Maͤdchen zuruͤck, es hat einen Namen, es iſt ein menſchliches Weſen, es waͤchſt heran in meiner Sorge und Pflege, ich bin die gluͤcklichſte Mutter, die reichſte Frau auf Erden. Waͤr’ es nicht ſchaͤndliche Selbſtſucht von mir, ſtraͤfliche Ungenuͤgſamkeit, wollt’ ich zu all’ mei- nen Schaͤtzen auch noch die Herrſchaft uͤber Dich fuͤgen? Wollt’ ich auf Deine Liebe, Deine Redlich- keit trotzend, dich eigenſinnig feſthalten; Dich hin- dern, die Fluͤgel zu regen, die das Beduͤrfniß fuͤhlen, ſich zu entfalten? Sieh’, das mußt’ ich Dir ſagen; es kommt mir aus der Seele! Sei frei! Sei, wie wenn Du kein Weib haͤtteſt! Zieh’ hinaus und reiſe! Treibe Dich in der weiten Welt umher! Durchſtreife Laͤnder und Meere! Mache was Du willſt, Anton; unternimm, wozu die Neigung Dich auffordert! Jch werde nicht klagen, nicht weinen, nicht grollen. Jch werde mit meiner Tochter hier bleiben, eine treue Hausfrau, eine gute Wirthin ſein und wenn Du wie- der einmal heimkehrſt, werd’ ich Dich eben ſo freund- lich, eben ſo unbefangen begruͤßen, wie ich geſtern that, als Du aus unſerem Walde heimkehrteſt. Denn daß Du manchmal kommen wirſt, nach Deiner Hed- wig zu ſchauen, Dein Kind zu kuͤſſen, das weiß ich.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0200"n="196"/><p>Bald bringt man mir mein kleines Maͤdchen<lb/>
zuruͤck, es hat einen Namen, es iſt ein menſchliches<lb/>
Weſen, es waͤchſt heran in meiner Sorge und Pflege,<lb/>
ich bin die gluͤcklichſte Mutter, die reichſte Frau auf<lb/>
Erden. Waͤr’ es nicht ſchaͤndliche Selbſtſucht von<lb/>
mir, ſtraͤfliche Ungenuͤgſamkeit, wollt’ ich zu all’ mei-<lb/>
nen Schaͤtzen auch noch die Herrſchaft uͤber Dich<lb/>
fuͤgen? Wollt’ ich auf Deine Liebe, Deine Redlich-<lb/>
keit trotzend, dich eigenſinnig feſthalten; Dich hin-<lb/>
dern, die Fluͤgel zu regen, die das Beduͤrfniß fuͤhlen,<lb/>ſich zu entfalten? Sieh’, das mußt’ ich Dir ſagen;<lb/>
es kommt mir aus der Seele! Sei frei! Sei, wie<lb/>
wenn Du kein Weib haͤtteſt! Zieh’ hinaus und reiſe!<lb/>
Treibe Dich in der weiten Welt umher! Durchſtreife<lb/>
Laͤnder und Meere! Mache was Du willſt, Anton;<lb/>
unternimm, wozu die Neigung Dich auffordert! Jch<lb/>
werde nicht klagen, nicht weinen, nicht grollen. Jch<lb/>
werde mit meiner Tochter hier bleiben, eine treue<lb/>
Hausfrau, eine gute Wirthin ſein und wenn Du wie-<lb/>
der einmal heimkehrſt, werd’ ich Dich eben ſo freund-<lb/>
lich, eben ſo unbefangen begruͤßen, wie ich geſtern<lb/>
that, als Du aus unſerem Walde heimkehrteſt. Denn<lb/>
daß Du manchmal kommen wirſt, nach Deiner Hed-<lb/>
wig zu ſchauen, Dein Kind zu kuͤſſen, das weiß ich.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[196/0200]
Bald bringt man mir mein kleines Maͤdchen
zuruͤck, es hat einen Namen, es iſt ein menſchliches
Weſen, es waͤchſt heran in meiner Sorge und Pflege,
ich bin die gluͤcklichſte Mutter, die reichſte Frau auf
Erden. Waͤr’ es nicht ſchaͤndliche Selbſtſucht von
mir, ſtraͤfliche Ungenuͤgſamkeit, wollt’ ich zu all’ mei-
nen Schaͤtzen auch noch die Herrſchaft uͤber Dich
fuͤgen? Wollt’ ich auf Deine Liebe, Deine Redlich-
keit trotzend, dich eigenſinnig feſthalten; Dich hin-
dern, die Fluͤgel zu regen, die das Beduͤrfniß fuͤhlen,
ſich zu entfalten? Sieh’, das mußt’ ich Dir ſagen;
es kommt mir aus der Seele! Sei frei! Sei, wie
wenn Du kein Weib haͤtteſt! Zieh’ hinaus und reiſe!
Treibe Dich in der weiten Welt umher! Durchſtreife
Laͤnder und Meere! Mache was Du willſt, Anton;
unternimm, wozu die Neigung Dich auffordert! Jch
werde nicht klagen, nicht weinen, nicht grollen. Jch
werde mit meiner Tochter hier bleiben, eine treue
Hausfrau, eine gute Wirthin ſein und wenn Du wie-
der einmal heimkehrſt, werd’ ich Dich eben ſo freund-
lich, eben ſo unbefangen begruͤßen, wie ich geſtern
that, als Du aus unſerem Walde heimkehrteſt. Denn
daß Du manchmal kommen wirſt, nach Deiner Hed-
wig zu ſchauen, Dein Kind zu kuͤſſen, das weiß ich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/200>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.