Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Glorie Sie von Stadt zu Stadt predigen.
Verschmähen Sie, alter Dörfner, unser Dorf nicht.
Mein Weib ist nicht so böse, wie sie scheint, und wenn
sie mich auch jetzt furchtbar gezwickt hat, -- Jhnen
wird sie das freundlichste Gesicht machen, um in der
Biographie gut wegzukommen. Dafür ist sie ein
Frauenzimmer."

Jch empfing die Adresse meines neuen Freundes
und gelobte, auch von seiner Hedwig gütig aufgefor-
dert, mich einzustellen, sobald es sich schicken wolle.



Erster Tag in Liebenau.

Es giebt Oktobertage, deren Schönheit einen
ganzen, naßkalten Sommer aufwiegt. An einem sol-
chen erreichte ich Liebenau, nicht ohne Mühe; denn
mein Lohnkutscher, nachdem wir einmal die Landstraße
verlassen, fuhr wenigstens zehnmal irre. Mich erfüll-
ten diese Jrrfahrten mit Seligkeit. Gott sei Dank,
dachte ich, endlich einmal ein Ort, zu welchem keine
Chaussee, keine Eisenbahn führt. Ein Ort, den man
suchen muß! Der von Waldungen umgeben liegt, in
denen wirkliche natürliche Bäume stehen und mit

Die Vagabunden. IV. 14

deſſen Glorie Sie von Stadt zu Stadt predigen.
Verſchmaͤhen Sie, alter Doͤrfner, unſer Dorf nicht.
Mein Weib iſt nicht ſo boͤſe, wie ſie ſcheint, und wenn
ſie mich auch jetzt furchtbar gezwickt hat, — Jhnen
wird ſie das freundlichſte Geſicht machen, um in der
Biographie gut wegzukommen. Dafuͤr iſt ſie ein
Frauenzimmer.“

Jch empfing die Adreſſe meines neuen Freundes
und gelobte, auch von ſeiner Hedwig guͤtig aufgefor-
dert, mich einzuſtellen, ſobald es ſich ſchicken wolle.



Erſter Tag in Liebenau.

Es giebt Oktobertage, deren Schoͤnheit einen
ganzen, naßkalten Sommer aufwiegt. An einem ſol-
chen erreichte ich Liebenau, nicht ohne Muͤhe; denn
mein Lohnkutſcher, nachdem wir einmal die Landſtraße
verlaſſen, fuhr wenigſtens zehnmal irre. Mich erfuͤll-
ten dieſe Jrrfahrten mit Seligkeit. Gott ſei Dank,
dachte ich, endlich einmal ein Ort, zu welchem keine
Chauſſee, keine Eiſenbahn fuͤhrt. Ein Ort, den man
ſuchen muß! Der von Waldungen umgeben liegt, in
denen wirkliche natuͤrliche Baͤume ſtehen und mit

Die Vagabunden. IV. 14
<TEI>
  <text>
    <back>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0213" n="209"/>
de&#x017F;&#x017F;en Glorie Sie von Stadt zu Stadt predigen.<lb/>
Ver&#x017F;chma&#x0364;hen Sie, alter Do&#x0364;rfner, un&#x017F;er Dorf nicht.<lb/>
Mein Weib i&#x017F;t nicht &#x017F;o bo&#x0364;&#x017F;e, wie &#x017F;ie &#x017F;cheint, und wenn<lb/>
&#x017F;ie mich auch jetzt furchtbar gezwickt hat, &#x2014; Jhnen<lb/>
wird &#x017F;ie das freundlich&#x017F;te Ge&#x017F;icht machen, um in der<lb/>
Biographie gut wegzukommen. Dafu&#x0364;r i&#x017F;t &#x017F;ie ein<lb/>
Frauenzimmer.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Jch empfing die Adre&#x017F;&#x017F;e meines neuen Freundes<lb/>
und gelobte, auch von &#x017F;einer Hedwig gu&#x0364;tig aufgefor-<lb/>
dert, mich einzu&#x017F;tellen, &#x017F;obald es &#x017F;ich &#x017F;chicken wolle.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Er&#x017F;ter Tag in Liebenau.</hi> </head><lb/>
            <p>Es giebt Oktobertage, deren Scho&#x0364;nheit einen<lb/>
ganzen, naßkalten Sommer aufwiegt. An einem &#x017F;ol-<lb/>
chen erreichte ich Liebenau, nicht ohne Mu&#x0364;he; denn<lb/>
mein Lohnkut&#x017F;cher, nachdem wir einmal die Land&#x017F;traße<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en, fuhr wenig&#x017F;tens zehnmal irre. Mich erfu&#x0364;ll-<lb/>
ten die&#x017F;e Jrrfahrten mit Seligkeit. Gott &#x017F;ei Dank,<lb/>
dachte ich, endlich einmal ein Ort, zu welchem keine<lb/>
Chau&#x017F;&#x017F;ee, keine Ei&#x017F;enbahn fu&#x0364;hrt. Ein Ort, den man<lb/>
&#x017F;uchen muß! Der von Waldungen umgeben liegt, in<lb/>
denen wirkliche natu&#x0364;rliche Ba&#x0364;ume &#x017F;tehen und mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die Vagabunden. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 14</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[209/0213] deſſen Glorie Sie von Stadt zu Stadt predigen. Verſchmaͤhen Sie, alter Doͤrfner, unſer Dorf nicht. Mein Weib iſt nicht ſo boͤſe, wie ſie ſcheint, und wenn ſie mich auch jetzt furchtbar gezwickt hat, — Jhnen wird ſie das freundlichſte Geſicht machen, um in der Biographie gut wegzukommen. Dafuͤr iſt ſie ein Frauenzimmer.“ Jch empfing die Adreſſe meines neuen Freundes und gelobte, auch von ſeiner Hedwig guͤtig aufgefor- dert, mich einzuſtellen, ſobald es ſich ſchicken wolle. Erſter Tag in Liebenau. Es giebt Oktobertage, deren Schoͤnheit einen ganzen, naßkalten Sommer aufwiegt. An einem ſol- chen erreichte ich Liebenau, nicht ohne Muͤhe; denn mein Lohnkutſcher, nachdem wir einmal die Landſtraße verlaſſen, fuhr wenigſtens zehnmal irre. Mich erfuͤll- ten dieſe Jrrfahrten mit Seligkeit. Gott ſei Dank, dachte ich, endlich einmal ein Ort, zu welchem keine Chauſſee, keine Eiſenbahn fuͤhrt. Ein Ort, den man ſuchen muß! Der von Waldungen umgeben liegt, in denen wirkliche natuͤrliche Baͤume ſtehen und mit Die Vagabunden. IV. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/213
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/213>, abgerufen am 04.12.2024.