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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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über die Wipfel der hohen Bäume hin und zerrte den
gemißhandelten Leib meines Geliebten hinter mir her;
ehe ich noch mit blutenden Fingern den Knoten gelö-
set, den er in seiner Todesangst für mich doppelt fest
um die Gondel geschlungen, war sein Haupt schon
zerschellt an den Aesten der starren, fühllosen Bäume.
Die Gondel blieb in Zweigen hängen. Jch kletterte
hinab. Jch band den Leichnam los. Jch warf mich
über ihn...

Das Uebrige ergiebt sich von selbst. Jch brauche
Jhnen nicht zu erklären, hoff' ich, warum ich die
Luftschifferei fortsetze. Die Leute wähnen, weil es ein
einträgliches Gewerbe sei für eine so junge, schöne
Wittwe. Was kümmern mich die Leute? Sie haben
gesehen, wie gering ich das Geld achte. Jch wage
mein Leben in der Erinnerung an den, der auf diese
Weise das seinige verlor; ich wünsche zu sterben,
gleich ihm. Jch denke nur Seiner, wenn ich abge-
schieden von diesem Erdgewühl, hoch über Eurem
Jammer in Lüften hause. Dann glaube ich, seine
Nähe zu fühlen und eines Tages, mein' ich, wird er
kommen, mich zu sich zu rufen. Vor den Menschen
zeig' ich mich lustig, keck, vielleicht frech! Warum soll
ich mich dem Gesindel zeigen, wie ich bin? Sie ver-

uͤber die Wipfel der hohen Baͤume hin und zerrte den
gemißhandelten Leib meines Geliebten hinter mir her;
ehe ich noch mit blutenden Fingern den Knoten geloͤ-
ſet, den er in ſeiner Todesangſt fuͤr mich doppelt feſt
um die Gondel geſchlungen, war ſein Haupt ſchon
zerſchellt an den Aeſten der ſtarren, fuͤhlloſen Baͤume.
Die Gondel blieb in Zweigen haͤngen. Jch kletterte
hinab. Jch band den Leichnam los. Jch warf mich
uͤber ihn...

Das Uebrige ergiebt ſich von ſelbſt. Jch brauche
Jhnen nicht zu erklaͤren, hoff’ ich, warum ich die
Luftſchifferei fortſetze. Die Leute waͤhnen, weil es ein
eintraͤgliches Gewerbe ſei fuͤr eine ſo junge, ſchoͤne
Wittwe. Was kuͤmmern mich die Leute? Sie haben
geſehen, wie gering ich das Geld achte. Jch wage
mein Leben in der Erinnerung an den, der auf dieſe
Weiſe das ſeinige verlor; ich wuͤnſche zu ſterben,
gleich ihm. Jch denke nur Seiner, wenn ich abge-
ſchieden von dieſem Erdgewuͤhl, hoch uͤber Eurem
Jammer in Luͤften hauſe. Dann glaube ich, ſeine
Naͤhe zu fuͤhlen und eines Tages, mein’ ich, wird er
kommen, mich zu ſich zu rufen. Vor den Menſchen
zeig’ ich mich luſtig, keck, vielleicht frech! Warum ſoll
ich mich dem Geſindel zeigen, wie ich bin? Sie ver-

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[24/0028] uͤber die Wipfel der hohen Baͤume hin und zerrte den gemißhandelten Leib meines Geliebten hinter mir her; ehe ich noch mit blutenden Fingern den Knoten geloͤ- ſet, den er in ſeiner Todesangſt fuͤr mich doppelt feſt um die Gondel geſchlungen, war ſein Haupt ſchon zerſchellt an den Aeſten der ſtarren, fuͤhlloſen Baͤume. Die Gondel blieb in Zweigen haͤngen. Jch kletterte hinab. Jch band den Leichnam los. Jch warf mich uͤber ihn... Das Uebrige ergiebt ſich von ſelbſt. Jch brauche Jhnen nicht zu erklaͤren, hoff’ ich, warum ich die Luftſchifferei fortſetze. Die Leute waͤhnen, weil es ein eintraͤgliches Gewerbe ſei fuͤr eine ſo junge, ſchoͤne Wittwe. Was kuͤmmern mich die Leute? Sie haben geſehen, wie gering ich das Geld achte. Jch wage mein Leben in der Erinnerung an den, der auf dieſe Weiſe das ſeinige verlor; ich wuͤnſche zu ſterben, gleich ihm. Jch denke nur Seiner, wenn ich abge- ſchieden von dieſem Erdgewuͤhl, hoch uͤber Eurem Jammer in Luͤften hauſe. Dann glaube ich, ſeine Naͤhe zu fuͤhlen und eines Tages, mein’ ich, wird er kommen, mich zu ſich zu rufen. Vor den Menſchen zeig’ ich mich luſtig, keck, vielleicht frech! Warum ſoll ich mich dem Geſindel zeigen, wie ich bin? Sie ver-

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/28>, abgerufen am 21.11.2024.