Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Und immer, immer noch klang's mir im Ohr, Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte, Und mir ums Auge hing ein Thränenflor, Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte. Was half mir nun mein "Stückchen Philosoph"? In Trümmer fiel, was ich so luftig baute! Doch that's das Haus nicht, nicht der düstre Hof, Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! -- Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot, Doch herzlos läßt der Reichthum sie verhungern; Millionen tritt die Goldgier in den Koth, Und Einen einzigen nur läßt sie lungern. In seidne Betten wühlt sie ihn hinein, Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert, Indeß beim flackernden Laternenschein Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert. O Gott, warum dies alles, o warum? Wie Centnerlast drückt mich die Frage nieder! In meinen Reimen geht sie heimlich um Und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder. Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball? Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne! Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall, Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne! Und immer, immer noch klang's mir im Ohr, Wenn ſchon der Morgen durch das Fenſter blickte, Und mir ums Auge hing ein Thränenflor, Wenn ich dann ſtumm mein Tagewerk beſchickte. Was half mir nun mein „Stückchen Philoſoph“? In Trümmer fiel, was ich ſo luftig baute! Doch that's das Haus nicht, nicht der düſtre Hof, Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! — Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot, Doch herzlos läßt der Reichthum ſie verhungern; Millionen tritt die Goldgier in den Koth, Und Einen einzigen nur läßt ſie lungern. In ſeidne Betten wühlt ſie ihn hinein, Wenn er beim Sect ſich endlich ausgeplappert, Indeß beim flackernden Laternenſchein Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert. O Gott, warum dies alles, o warum? Wie Centnerlaſt drückt mich die Frage nieder! In meinen Reimen geht ſie heimlich um Und ächzt und ſtöhnt durch meine armen Lieder. Was bleibt mir noch auf dieſem Erdenball? Denn auch die Kunſt, längſt ſtieg ſie vom Kothurne! Einſt ſchlug mein Herz wie eine Nachtigall, Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0109" n="87"/> <lg n="6"> <l>Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,</l><lb/> <l>Wenn ſchon der Morgen durch das Fenſter blickte,</l><lb/> <l>Und mir ums Auge hing ein Thränenflor,</l><lb/> <l>Wenn ich dann ſtumm mein Tagewerk beſchickte.</l><lb/> <l>Was half mir nun mein „Stückchen Philoſoph“?</l><lb/> <l>In Trümmer fiel, was ich ſo luftig baute!</l><lb/> <l>Doch that's das Haus nicht, nicht der düſtre Hof,</l><lb/> <l>Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! —</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,</l><lb/> <l>Doch herzlos läßt der Reichthum ſie verhungern;</l><lb/> <l>Millionen tritt die Goldgier in den Koth,</l><lb/> <l>Und Einen einzigen nur läßt ſie lungern.</l><lb/> <l>In ſeidne Betten wühlt ſie ihn hinein,</l><lb/> <l>Wenn er beim Sect ſich endlich ausgeplappert,</l><lb/> <l>Indeß beim flackernden Laternenſchein</l><lb/> <l>Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>O Gott, warum dies alles, o warum?</l><lb/> <l>Wie Centnerlaſt drückt mich die Frage nieder!</l><lb/> <l>In meinen Reimen geht ſie heimlich um</l><lb/> <l>Und ächzt und ſtöhnt durch meine armen Lieder.</l><lb/> <l>Was bleibt mir noch auf dieſem Erdenball?</l><lb/> <l>Denn auch die Kunſt, längſt ſtieg ſie vom Kothurne!</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Einſt ſchlug mein Herz wie eine Nachtigall</hi>,</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Doch ach</hi>, <hi rendition="#g">nun gleicht es einer Thränenurne</hi>!</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0109]
Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,
Wenn ſchon der Morgen durch das Fenſter blickte,
Und mir ums Auge hing ein Thränenflor,
Wenn ich dann ſtumm mein Tagewerk beſchickte.
Was half mir nun mein „Stückchen Philoſoph“?
In Trümmer fiel, was ich ſo luftig baute!
Doch that's das Haus nicht, nicht der düſtre Hof,
Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! —
Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,
Doch herzlos läßt der Reichthum ſie verhungern;
Millionen tritt die Goldgier in den Koth,
Und Einen einzigen nur läßt ſie lungern.
In ſeidne Betten wühlt ſie ihn hinein,
Wenn er beim Sect ſich endlich ausgeplappert,
Indeß beim flackernden Laternenſchein
Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.
O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Centnerlaſt drückt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht ſie heimlich um
Und ächzt und ſtöhnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf dieſem Erdenball?
Denn auch die Kunſt, längſt ſtieg ſie vom Kothurne!
Einſt ſchlug mein Herz wie eine Nachtigall,
Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne!
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