Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Verworrene, wilde Gedanken Entsteigen dem fiebernden Hirn Und klammern wie dornige Ranken Sich fest um die faltige Stirn: Nun wiegt sie wohl droben im Tanze, Von luftigen Schleiern umwallt, Geschmückt mit dem bräutlichen Kranze Die liebliche schlanke Gestalt. Doch ein Andrer fühlt jetzt erwarmen Das Herz, das einst klopfte für mich, Und ein Andrer darf sie umarmen Und ein Andrer sie küssen als ich! Und lauter kreischen die Geigen Und wilder bäumt sich mein Leid, Und toller verschlingt sich der Reigen Von Traum und Wirklichkeit. Es knistern die seidenen Schleppen,
Es funkelt der goldne Pokal, Und mir ist es, als stieg ich die Treppen Hinauf in den Marmorsaal. Verworrene, wilde Gedanken Entſteigen dem fiebernden Hirn Und klammern wie dornige Ranken Sich feſt um die faltige Stirn: Nun wiegt ſie wohl droben im Tanze, Von luftigen Schleiern umwallt, Geſchmückt mit dem bräutlichen Kranze Die liebliche ſchlanke Geſtalt. Doch ein Andrer fühlt jetzt erwarmen Das Herz, das einſt klopfte für mich, Und ein Andrer darf ſie umarmen Und ein Andrer ſie küſſen als ich! Und lauter kreiſchen die Geigen Und wilder bäumt ſich mein Leid, Und toller verſchlingt ſich der Reigen Von Traum und Wirklichkeit. Es kniſtern die ſeidenen Schleppen,
Es funkelt der goldne Pokal, Und mir iſt es, als ſtieg ich die Treppen Hinauf in den Marmorſaal. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0240" n="218"/> <lg n="9"> <l>Verworrene, wilde Gedanken</l><lb/> <l>Entſteigen dem fiebernden Hirn</l><lb/> <l>Und klammern wie dornige Ranken</l><lb/> <l>Sich feſt um die faltige Stirn:</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l>Nun wiegt ſie wohl droben im Tanze,</l><lb/> <l>Von luftigen Schleiern umwallt,</l><lb/> <l>Geſchmückt mit dem bräutlichen Kranze</l><lb/> <l>Die liebliche ſchlanke Geſtalt.</l><lb/> </lg> <lg n="11"> <l>Doch ein Andrer fühlt jetzt erwarmen</l><lb/> <l>Das Herz, das einſt klopfte für mich,</l><lb/> <l>Und ein Andrer darf ſie umarmen</l><lb/> <l>Und ein Andrer ſie küſſen als ich!</l><lb/> </lg> <lg n="12"> <l>Und lauter kreiſchen die Geigen</l><lb/> <l>Und wilder bäumt ſich mein Leid,</l><lb/> <l>Und toller verſchlingt ſich der Reigen</l><lb/> <l>Von Traum und Wirklichkeit.</l><lb/> </lg> <lg n="13"> <l>Es kniſtern die ſeidenen Schleppen,</l><lb/> <l>Es funkelt der goldne Pokal,</l><lb/> <l>Und mir iſt es, als ſtieg ich die Treppen</l><lb/> <l>Hinauf in den Marmorſaal.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0240]
Verworrene, wilde Gedanken
Entſteigen dem fiebernden Hirn
Und klammern wie dornige Ranken
Sich feſt um die faltige Stirn:
Nun wiegt ſie wohl droben im Tanze,
Von luftigen Schleiern umwallt,
Geſchmückt mit dem bräutlichen Kranze
Die liebliche ſchlanke Geſtalt.
Doch ein Andrer fühlt jetzt erwarmen
Das Herz, das einſt klopfte für mich,
Und ein Andrer darf ſie umarmen
Und ein Andrer ſie küſſen als ich!
Und lauter kreiſchen die Geigen
Und wilder bäumt ſich mein Leid,
Und toller verſchlingt ſich der Reigen
Von Traum und Wirklichkeit.
Es kniſtern die ſeidenen Schleppen,
Es funkelt der goldne Pokal,
Und mir iſt es, als ſtieg ich die Treppen
Hinauf in den Marmorſaal.
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