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Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

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O lang ist's her, daß mir's im Hirne blitzte!
Im Winterschnee erfror die Phantasie;
Erst heute war's, daß ich den Bleistift spitzte,
Erst heut in dieser Frühlingsscenerie.
Weh, mein Talent versickert schon im Sande,
Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt;
Drum da ich ihn noch nie sah auf dem Lande,
Besing ich nun den Frühling in der Stadt.
Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen
Und kein Naturkind gab mir das Geleit,
Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen
Als Kind der Großstadt und der neuen Zeit.
Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen,
War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie,
Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen
Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie!
O wie so anders, als die Herren singen,
Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein,
Er weiß sich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelsang und Vollmondschein.
Er heult als Südwind um die morschen Dächer
Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt.
O lang iſt's her, daß mir's im Hirne blitzte!
Im Winterſchnee erfror die Phantaſie;
Erſt heute war's, daß ich den Bleiſtift ſpitzte,
Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie.
Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande,
Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt;
Drum da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande,
Beſing ich nun den Frühling in der Stadt.
Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen
Und kein Naturkind gab mir das Geleit,
Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen
Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit.
Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen,
War's oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie,
Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen
Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie!
O wie ſo anders, als die Herren ſingen,
Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein,
Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein.
Er heult als Südwind um die morſchen Dächer
Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt.
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[30/0052] O lang iſt's her, daß mir's im Hirne blitzte! Im Winterſchnee erfror die Phantaſie; Erſt heute war's, daß ich den Bleiſtift ſpitzte, Erſt heut in dieſer Frühlingsſcenerie. Weh, mein Talent verſickert ſchon im Sande, Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich ſatt; Drum da ich ihn noch nie ſah auf dem Lande, Beſing ich nun den Frühling in der Stadt. Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachſen Und kein Naturkind gab mir das Geleit, Ich ſeh die Welt ſich drehn um ihre Achſen Als Kind der Großſtadt und der neuen Zeit. Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Eſſen, War's oft mein Herz, das lautauf ſchlug und ſchrie, Und dennoch, dennoch hab ich nie vergeſſen Das goldne Wort: Auch dies iſt Poeſie! O wie ſo anders, als die Herren ſingen, Stellt ſich der Lenz hier in der Großſtadt ein, Er weiß ſich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelſang und Vollmondſchein. Er heult als Südwind um die morſchen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderſpannt.

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Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/52>, abgerufen am 16.05.2024.