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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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italienisches Volksthum, wie sie es schon gar manchmal auf diesem Weg gehalten hatten; denn es geschah häufig, daß der ausländische Gast den Signor Baldo nach dessen Villa begleitete.

Bald hatte der Wagen die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich gelassen und fuhr, vom Arno abbiegend, mit mäßiger Geschwindigkeit durch die fruchtbare Ebene von Ripoli dahin. Es war nun völlig dunkel geworden; in den Wohnungen am Weg und in den fernen Gehöften, die drüben jenseits des Flusses über den Hügeln verstreut lagen, glommen die Lichter auf; der Abendwind schaukelte leise die traubenbeladenen Rebenguirlanden, welche sich von Baum zu Baum rankten: hie und da grüßte die ernste Silhouette einer hageren Cypresse oder einer breitwipfeligen Pinie. Und als nun über den fernen Berghöhen von Vallombrosa der Vollmond aufstieg und seine silbernen Fluten über die Gegend ausgoß, daß das bewundernde Auge des Nordländers hüben und drüben alle die Wellenzüge der Hügel und rückwärts schauend das an Michelangelo gemahnende Campanile von San Miniato erkannte, da empfand er tief die Würde und Weihe des heiterernsten Bildes, und er wunderte sich nicht, daß in solcher Landschaft ein so altadeliges Geschlecht wohnte wie dieses toscanische Landvolk, welches ihm sein florentinischer Gastfreund eben schilderte.

Drinnen im Kasten begann jetzt auch ein Gespräch. Bis dahin hatte der Bursche, der mit Gigia einge-

italienisches Volksthum, wie sie es schon gar manchmal auf diesem Weg gehalten hatten; denn es geschah häufig, daß der ausländische Gast den Signor Baldo nach dessen Villa begleitete.

Bald hatte der Wagen die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich gelassen und fuhr, vom Arno abbiegend, mit mäßiger Geschwindigkeit durch die fruchtbare Ebene von Ripoli dahin. Es war nun völlig dunkel geworden; in den Wohnungen am Weg und in den fernen Gehöften, die drüben jenseits des Flusses über den Hügeln verstreut lagen, glommen die Lichter auf; der Abendwind schaukelte leise die traubenbeladenen Rebenguirlanden, welche sich von Baum zu Baum rankten: hie und da grüßte die ernste Silhouette einer hageren Cypresse oder einer breitwipfeligen Pinie. Und als nun über den fernen Berghöhen von Vallombrosa der Vollmond aufstieg und seine silbernen Fluten über die Gegend ausgoß, daß das bewundernde Auge des Nordländers hüben und drüben alle die Wellenzüge der Hügel und rückwärts schauend das an Michelangelo gemahnende Campanile von San Miniato erkannte, da empfand er tief die Würde und Weihe des heiterernsten Bildes, und er wunderte sich nicht, daß in solcher Landschaft ein so altadeliges Geschlecht wohnte wie dieses toscanische Landvolk, welches ihm sein florentinischer Gastfreund eben schilderte.

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[0010] italienisches Volksthum, wie sie es schon gar manchmal auf diesem Weg gehalten hatten; denn es geschah häufig, daß der ausländische Gast den Signor Baldo nach dessen Villa begleitete. Bald hatte der Wagen die letzten Häuser der Vorstadt hinter sich gelassen und fuhr, vom Arno abbiegend, mit mäßiger Geschwindigkeit durch die fruchtbare Ebene von Ripoli dahin. Es war nun völlig dunkel geworden; in den Wohnungen am Weg und in den fernen Gehöften, die drüben jenseits des Flusses über den Hügeln verstreut lagen, glommen die Lichter auf; der Abendwind schaukelte leise die traubenbeladenen Rebenguirlanden, welche sich von Baum zu Baum rankten: hie und da grüßte die ernste Silhouette einer hageren Cypresse oder einer breitwipfeligen Pinie. Und als nun über den fernen Berghöhen von Vallombrosa der Vollmond aufstieg und seine silbernen Fluten über die Gegend ausgoß, daß das bewundernde Auge des Nordländers hüben und drüben alle die Wellenzüge der Hügel und rückwärts schauend das an Michelangelo gemahnende Campanile von San Miniato erkannte, da empfand er tief die Würde und Weihe des heiterernsten Bildes, und er wunderte sich nicht, daß in solcher Landschaft ein so altadeliges Geschlecht wohnte wie dieses toscanische Landvolk, welches ihm sein florentinischer Gastfreund eben schilderte. Drinnen im Kasten begann jetzt auch ein Gespräch. Bis dahin hatte der Bursche, der mit Gigia einge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/10>, abgerufen am 29.03.2024.