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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sehenen Mann, der, da er nun einmal mit dem Fuhrwerk Giannino's vorlieb nahm, wenigstens ein Recht darauf hatte, nicht zu enge zu sitzen. Sie stieg also hinten in den Kasten und jener Bursche ihr nach. Der Bursche hatte vergnügt darein geschaut, als Gigia außen keinen Platz erhielt, aber jetzt kam an ihn die Reihe den Mund zu verziehen: seine Hoffnung, mit dem Mädchen allein zu sein in dem Wagen, erfüllte sich nicht, -- es saß bereits Einer in der Ecke.

Draußen aber sagte, während das Gäulchen sich gemächlich in Bewegung setzte, der Signor Baldo zu dem Herrn neben ihm: Sie hätten wohl gern ein bischen zusammengerückt, Signor Germanico, um das schöne Mädchen neben sich zu haben.

Ja, schön ist sie, versetzte der Angeredete, und sein lebhaftes aber barbarisch klingendes Italienisch zeigte sofort, daß ihm die Bezeichnung "Germanico" mit besserem Rechte zukam, als jenem Enkel des Augustus. Und mit welcher Würde sie dastand, als sie da auf den Wagen wartete! Wo in den weiten Marken meines deutschen Vaterlandes fände ich eine Bäuerin, die so zu stehen, so den Kopf zu tragen, so einen Fächer zu halten verstände? Doch was rede ich von Bäuerinnen! Wie manche deutsche Dame -- -- Der Deutsche vollendete den Satz nicht, der seinen Patriotismus in einem bedenklichen Lichte hätte erscheinen lassen können, aber der Italiener nickte ihm fein lächelnd zu, und die Beiden vertieften sich in solch ein Gespräch über deutsches und

sehenen Mann, der, da er nun einmal mit dem Fuhrwerk Giannino's vorlieb nahm, wenigstens ein Recht darauf hatte, nicht zu enge zu sitzen. Sie stieg also hinten in den Kasten und jener Bursche ihr nach. Der Bursche hatte vergnügt darein geschaut, als Gigia außen keinen Platz erhielt, aber jetzt kam an ihn die Reihe den Mund zu verziehen: seine Hoffnung, mit dem Mädchen allein zu sein in dem Wagen, erfüllte sich nicht, — es saß bereits Einer in der Ecke.

Draußen aber sagte, während das Gäulchen sich gemächlich in Bewegung setzte, der Signor Baldo zu dem Herrn neben ihm: Sie hätten wohl gern ein bischen zusammengerückt, Signor Germanico, um das schöne Mädchen neben sich zu haben.

Ja, schön ist sie, versetzte der Angeredete, und sein lebhaftes aber barbarisch klingendes Italienisch zeigte sofort, daß ihm die Bezeichnung „Germanico“ mit besserem Rechte zukam, als jenem Enkel des Augustus. Und mit welcher Würde sie dastand, als sie da auf den Wagen wartete! Wo in den weiten Marken meines deutschen Vaterlandes fände ich eine Bäuerin, die so zu stehen, so den Kopf zu tragen, so einen Fächer zu halten verstände? Doch was rede ich von Bäuerinnen! Wie manche deutsche Dame — — Der Deutsche vollendete den Satz nicht, der seinen Patriotismus in einem bedenklichen Lichte hätte erscheinen lassen können, aber der Italiener nickte ihm fein lächelnd zu, und die Beiden vertieften sich in solch ein Gespräch über deutsches und

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/9>, abgerufen am 29.03.2024.