Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.blauen apuanischen Alpen. Und der Ketzer glaubte an den Gott, dem dies Stück Erde so wohl gelungen war. Die Orgel verkündete durch ein frisches Allegro das Ende der Messe. Dem Gedränge der ländlichen Beter zuvorkommend, trat die Dame zuerst aus der Kirche, nahm den Arm des Gastes und sagte: Jetzt wollen wir der schönen Gigia einen Besuch abstatten. Das war so ihre Art. Der Gast hatte gestern die Schönheit des Mädchens so sehr gerühmt, daß sie ihm den Anblick nochmals verschaffen wollte. Sie konnte nun einmal nicht anders, als immerfort bedacht sein, allen möglichen Menschen alle mögliche Freude zu bereiten. Und sie verlangte dafür keinen andern Dank, als daß man sich ihre fürsorgende Güte gefallen lasse. Undank beirrte sie nicht. Wenn nur der Undankbare wieder ihrer bedurfte, so waren neue Wohlthaten ihre Rache. Bloß die selbstgenügsamen Trotzköpfe mochte sie nicht, denen sie keinen Dienst leisten, nichts Gutes erweisen konnte. Der Ort Urballa bestand zum kleinsten Theile aus zusammenhängenden, eine Gasse bildenden Baulichkeiten; die Mehrzahl der Häuser lag zerstreut in den Feldern diesseits und jenseits der Landstraße. Die Signora ließ sich das Häuschen der Familie Landi zeigen. Auf dem wohlgescheuerten, von Wachholdergebüsch und Feigenbäumen eingeschlossenen Vorplatz saß Sora Maria in beschaulicher Sonntagsruhe. Sie stand aber eilig auf, als sie den unverhofften Besuch eintreten sah. blauen apuanischen Alpen. Und der Ketzer glaubte an den Gott, dem dies Stück Erde so wohl gelungen war. Die Orgel verkündete durch ein frisches Allegro das Ende der Messe. Dem Gedränge der ländlichen Beter zuvorkommend, trat die Dame zuerst aus der Kirche, nahm den Arm des Gastes und sagte: Jetzt wollen wir der schönen Gigia einen Besuch abstatten. Das war so ihre Art. Der Gast hatte gestern die Schönheit des Mädchens so sehr gerühmt, daß sie ihm den Anblick nochmals verschaffen wollte. Sie konnte nun einmal nicht anders, als immerfort bedacht sein, allen möglichen Menschen alle mögliche Freude zu bereiten. Und sie verlangte dafür keinen andern Dank, als daß man sich ihre fürsorgende Güte gefallen lasse. Undank beirrte sie nicht. Wenn nur der Undankbare wieder ihrer bedurfte, so waren neue Wohlthaten ihre Rache. Bloß die selbstgenügsamen Trotzköpfe mochte sie nicht, denen sie keinen Dienst leisten, nichts Gutes erweisen konnte. Der Ort Urballa bestand zum kleinsten Theile aus zusammenhängenden, eine Gasse bildenden Baulichkeiten; die Mehrzahl der Häuser lag zerstreut in den Feldern diesseits und jenseits der Landstraße. Die Signora ließ sich das Häuschen der Familie Landi zeigen. Auf dem wohlgescheuerten, von Wachholdergebüsch und Feigenbäumen eingeschlossenen Vorplatz saß Sora Maria in beschaulicher Sonntagsruhe. Sie stand aber eilig auf, als sie den unverhofften Besuch eintreten sah. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024"/> blauen apuanischen Alpen. Und der Ketzer glaubte an den Gott, dem dies Stück Erde so wohl gelungen war. Die Orgel verkündete durch ein frisches Allegro das Ende der Messe. Dem Gedränge der ländlichen Beter zuvorkommend, trat die Dame zuerst aus der Kirche, nahm den Arm des Gastes und sagte: Jetzt wollen wir der schönen Gigia einen Besuch abstatten.</p><lb/> <p>Das war so ihre Art. Der Gast hatte gestern die Schönheit des Mädchens so sehr gerühmt, daß sie ihm den Anblick nochmals verschaffen wollte. Sie konnte nun einmal nicht anders, als immerfort bedacht sein, allen möglichen Menschen alle mögliche Freude zu bereiten. Und sie verlangte dafür keinen andern Dank, als daß man sich ihre fürsorgende Güte gefallen lasse. Undank beirrte sie nicht. Wenn nur der Undankbare wieder ihrer bedurfte, so waren neue Wohlthaten ihre Rache. Bloß die selbstgenügsamen Trotzköpfe mochte sie nicht, denen sie keinen Dienst leisten, nichts Gutes erweisen konnte.</p><lb/> <p>Der Ort Urballa bestand zum kleinsten Theile aus zusammenhängenden, eine Gasse bildenden Baulichkeiten; die Mehrzahl der Häuser lag zerstreut in den Feldern diesseits und jenseits der Landstraße. Die Signora ließ sich das Häuschen der Familie Landi zeigen. Auf dem wohlgescheuerten, von Wachholdergebüsch und Feigenbäumen eingeschlossenen Vorplatz saß Sora Maria in beschaulicher Sonntagsruhe. Sie stand aber eilig auf, als sie den unverhofften Besuch eintreten sah.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
blauen apuanischen Alpen. Und der Ketzer glaubte an den Gott, dem dies Stück Erde so wohl gelungen war. Die Orgel verkündete durch ein frisches Allegro das Ende der Messe. Dem Gedränge der ländlichen Beter zuvorkommend, trat die Dame zuerst aus der Kirche, nahm den Arm des Gastes und sagte: Jetzt wollen wir der schönen Gigia einen Besuch abstatten.
Das war so ihre Art. Der Gast hatte gestern die Schönheit des Mädchens so sehr gerühmt, daß sie ihm den Anblick nochmals verschaffen wollte. Sie konnte nun einmal nicht anders, als immerfort bedacht sein, allen möglichen Menschen alle mögliche Freude zu bereiten. Und sie verlangte dafür keinen andern Dank, als daß man sich ihre fürsorgende Güte gefallen lasse. Undank beirrte sie nicht. Wenn nur der Undankbare wieder ihrer bedurfte, so waren neue Wohlthaten ihre Rache. Bloß die selbstgenügsamen Trotzköpfe mochte sie nicht, denen sie keinen Dienst leisten, nichts Gutes erweisen konnte.
Der Ort Urballa bestand zum kleinsten Theile aus zusammenhängenden, eine Gasse bildenden Baulichkeiten; die Mehrzahl der Häuser lag zerstreut in den Feldern diesseits und jenseits der Landstraße. Die Signora ließ sich das Häuschen der Familie Landi zeigen. Auf dem wohlgescheuerten, von Wachholdergebüsch und Feigenbäumen eingeschlossenen Vorplatz saß Sora Maria in beschaulicher Sonntagsruhe. Sie stand aber eilig auf, als sie den unverhofften Besuch eintreten sah.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:13:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:13:28Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |