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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Am Abend eilte er also hinauf nach der Villa und glücklicher Weise hatte er nicht nöthig, sich erst durch den Diener anmelden zu lassen. Die Signora saß auf dem Rasenplatz vor dem Hause in regem Gespräche mit dem Priore von San Giorgio. Maso drückte sachte auf die Klinke der Plankenthüre, welche den Eingang von dem Vorhof nach dem lorbeerumhegten Platze bildete. Sofort wendete Donna Ersilia den Kopf; auch während der lebhaftesten Unterhaltung entging ihrer stets überallhin gerichteten Aufmerksamkeit kein Geräusch, keine Bewegung.

Padrona Illustrissima, rief der Junge, ich bin es der Maso, und näher tretend fuhr er fort: Eure Signoria verzeihe mir, aber wenn sie die Güte haben wollte, mir deutlich zu sagen, was auf dem Papiere da steht --

Donna Ersilia überflog den Brief. Signor Priore, sagte sie und wandte sich nicht an Maso, sondern an den neben ihr sitzenden Geistlichen, Sie haben da in Ihrer Herde ein böses Schaf. Die großen Augen der Dame sprühten, solcher Unwille hatte sie erfaßt. Sie gab dem Priore das Blatt.

Ja, sagte der alte Herr, nachdem er gelesen, und nickte lächelnd, die Gigia ist von hartem Holz. Das biegt sich nicht unter der kalten, kraftlosen Hand eines alten Pfarrers. Da braucht's was Anderes. Ich habe manchmal gedacht: ob dieses starre Erdreich sich nicht erweichte, wenn einmal Donna Ersilia den heißen Sturmwind ihrer Beredsamkeit darüber brausen ließe. Der

Am Abend eilte er also hinauf nach der Villa und glücklicher Weise hatte er nicht nöthig, sich erst durch den Diener anmelden zu lassen. Die Signora saß auf dem Rasenplatz vor dem Hause in regem Gespräche mit dem Priore von San Giorgio. Maso drückte sachte auf die Klinke der Plankenthüre, welche den Eingang von dem Vorhof nach dem lorbeerumhegten Platze bildete. Sofort wendete Donna Ersilia den Kopf; auch während der lebhaftesten Unterhaltung entging ihrer stets überallhin gerichteten Aufmerksamkeit kein Geräusch, keine Bewegung.

Padrona Illustrissima, rief der Junge, ich bin es der Maso, und näher tretend fuhr er fort: Eure Signoria verzeihe mir, aber wenn sie die Güte haben wollte, mir deutlich zu sagen, was auf dem Papiere da steht —

Donna Ersilia überflog den Brief. Signor Priore, sagte sie und wandte sich nicht an Maso, sondern an den neben ihr sitzenden Geistlichen, Sie haben da in Ihrer Herde ein böses Schaf. Die großen Augen der Dame sprühten, solcher Unwille hatte sie erfaßt. Sie gab dem Priore das Blatt.

Ja, sagte der alte Herr, nachdem er gelesen, und nickte lächelnd, die Gigia ist von hartem Holz. Das biegt sich nicht unter der kalten, kraftlosen Hand eines alten Pfarrers. Da braucht's was Anderes. Ich habe manchmal gedacht: ob dieses starre Erdreich sich nicht erweichte, wenn einmal Donna Ersilia den heißen Sturmwind ihrer Beredsamkeit darüber brausen ließe. Der

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[0037] Am Abend eilte er also hinauf nach der Villa und glücklicher Weise hatte er nicht nöthig, sich erst durch den Diener anmelden zu lassen. Die Signora saß auf dem Rasenplatz vor dem Hause in regem Gespräche mit dem Priore von San Giorgio. Maso drückte sachte auf die Klinke der Plankenthüre, welche den Eingang von dem Vorhof nach dem lorbeerumhegten Platze bildete. Sofort wendete Donna Ersilia den Kopf; auch während der lebhaftesten Unterhaltung entging ihrer stets überallhin gerichteten Aufmerksamkeit kein Geräusch, keine Bewegung. Padrona Illustrissima, rief der Junge, ich bin es der Maso, und näher tretend fuhr er fort: Eure Signoria verzeihe mir, aber wenn sie die Güte haben wollte, mir deutlich zu sagen, was auf dem Papiere da steht — Donna Ersilia überflog den Brief. Signor Priore, sagte sie und wandte sich nicht an Maso, sondern an den neben ihr sitzenden Geistlichen, Sie haben da in Ihrer Herde ein böses Schaf. Die großen Augen der Dame sprühten, solcher Unwille hatte sie erfaßt. Sie gab dem Priore das Blatt. Ja, sagte der alte Herr, nachdem er gelesen, und nickte lächelnd, die Gigia ist von hartem Holz. Das biegt sich nicht unter der kalten, kraftlosen Hand eines alten Pfarrers. Da braucht's was Anderes. Ich habe manchmal gedacht: ob dieses starre Erdreich sich nicht erweichte, wenn einmal Donna Ersilia den heißen Sturmwind ihrer Beredsamkeit darüber brausen ließe. Der

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/37>, abgerufen am 19.04.2024.