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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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aus dem des deutschen Gastes zog, rief sie, und ihre Augen sprühten Blitze: Gehen Sie mir mit dieser Capricciosa! Und Sie haben behaupten können, sie sei schön, -- das vergesse ich Ihnen nie. Da weiß es unser Sprichwort besser, das sagt: Schönheit ohne Anmuth ist eine Angel ohne Köder.

Aber entbehrt denn Gigia der Anmuth? erlaubte sich der Deutsche einzuwenden.

Nun freilich: wenn Anmuth, wie mir dünkt, die sich im Aeußeren offenbarende Schönheit der Seele ist.

Der Signor Germanico, hartköpfig wie so manche seiner Landsleute, wollte die Richtigkeit dieser Definition bestreiten; allein Donna Ersilia war in diesem Punkte wie in einigen anderen nicht leicht zu überreden. Ihrem Bedürfniß, sich die Welt harmonisch vorzustellen, sagte es nicht zu, daß eine lieblose kalte Seele in einem schönen Körper wohnen könne, ohne durch ihre durchscheinende Unschönheit auch dessen Schönheit zu verderben. Donna Ersilia war Spiritualistin wie man sieht.

Aber, versetzte der Signor Germanico mit seiner nach der Meinung Donna Ersilia's ihm nicht zur Zier gereichenden Rechthaberei, aber der Köder muß der Schönheit Gigia's doch nicht gänzlich fehlen, da Maso so fest angebissen hat.

Dieser eigensinnige Widerspruch war nicht geeignet, die Verstimmung der Signora zu heben, und der deutsche Gast hätte sicherlich dafür büßen müssen, wenn das

aus dem des deutschen Gastes zog, rief sie, und ihre Augen sprühten Blitze: Gehen Sie mir mit dieser Capricciosa! Und Sie haben behaupten können, sie sei schön, — das vergesse ich Ihnen nie. Da weiß es unser Sprichwort besser, das sagt: Schönheit ohne Anmuth ist eine Angel ohne Köder.

Aber entbehrt denn Gigia der Anmuth? erlaubte sich der Deutsche einzuwenden.

Nun freilich: wenn Anmuth, wie mir dünkt, die sich im Aeußeren offenbarende Schönheit der Seele ist.

Der Signor Germanico, hartköpfig wie so manche seiner Landsleute, wollte die Richtigkeit dieser Definition bestreiten; allein Donna Ersilia war in diesem Punkte wie in einigen anderen nicht leicht zu überreden. Ihrem Bedürfniß, sich die Welt harmonisch vorzustellen, sagte es nicht zu, daß eine lieblose kalte Seele in einem schönen Körper wohnen könne, ohne durch ihre durchscheinende Unschönheit auch dessen Schönheit zu verderben. Donna Ersilia war Spiritualistin wie man sieht.

Aber, versetzte der Signor Germanico mit seiner nach der Meinung Donna Ersilia's ihm nicht zur Zier gereichenden Rechthaberei, aber der Köder muß der Schönheit Gigia's doch nicht gänzlich fehlen, da Maso so fest angebissen hat.

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[0052] aus dem des deutschen Gastes zog, rief sie, und ihre Augen sprühten Blitze: Gehen Sie mir mit dieser Capricciosa! Und Sie haben behaupten können, sie sei schön, — das vergesse ich Ihnen nie. Da weiß es unser Sprichwort besser, das sagt: Schönheit ohne Anmuth ist eine Angel ohne Köder. Aber entbehrt denn Gigia der Anmuth? erlaubte sich der Deutsche einzuwenden. Nun freilich: wenn Anmuth, wie mir dünkt, die sich im Aeußeren offenbarende Schönheit der Seele ist. Der Signor Germanico, hartköpfig wie so manche seiner Landsleute, wollte die Richtigkeit dieser Definition bestreiten; allein Donna Ersilia war in diesem Punkte wie in einigen anderen nicht leicht zu überreden. Ihrem Bedürfniß, sich die Welt harmonisch vorzustellen, sagte es nicht zu, daß eine lieblose kalte Seele in einem schönen Körper wohnen könne, ohne durch ihre durchscheinende Unschönheit auch dessen Schönheit zu verderben. Donna Ersilia war Spiritualistin wie man sieht. Aber, versetzte der Signor Germanico mit seiner nach der Meinung Donna Ersilia's ihm nicht zur Zier gereichenden Rechthaberei, aber der Köder muß der Schönheit Gigia's doch nicht gänzlich fehlen, da Maso so fest angebissen hat. Dieser eigensinnige Widerspruch war nicht geeignet, die Verstimmung der Signora zu heben, und der deutsche Gast hätte sicherlich dafür büßen müssen, wenn das

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/52>, abgerufen am 03.05.2024.