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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wege giebt, die zu diesem Andern zu führen vermögen! Wußte Gigia etwa nicht, daß die Padrona Maso's Donna Ersilia hieß? wenn sie Beistand brauchte, warum kam sie nicht? war es so weit von Urballa bis zur Villa La Torre? Nein, das Mädchen, welches nicht nöthig fand, sich über ihre Gefühle zu äußern, fühlte eben nichts: ein träges Geschöpf war es, in dessen Adern Wasser statt Blutes floß. Welch Verhängniß, daß der warmherzige Junge den Schatz seiner Zärtlichkeit so falsch verwendete, so nutzlos ausgab!

Ernstlich betrübt, ja zürnend -- ob über Maso, über Gigia, über sich selbst? wer will es entscheiden? -- verließ Donna Ersilia ihren auch nur leiblich genesenden Schützling. Auf dem kurzen Gange vor dem Hause des Verwalters hinüber nach ihrem Salotto stieß sie nur einige ganz kurze Ausrufungen hervor, und dieses Versiegen des gewöhnlich so voll strömenden Redeflusses sagte am besten, wie unruhig es arbeitete in der Tiefe ihrer Natur; solch unheimliche Stille trat ein, wenn die Heiterkeit ihrer Seele durch heftige Wallungen gleichsam vulkanischer Elementarkräfte unterbrochen war, und kündigte einen um so heftigeren Ausbruch an. Die unerfreulichen Eindrücke, welche Gigia von allem Anfang an in ihr hervorgerufen durch all ihr Thun und Lassen bestätigt hatte, waren nun zu solch unleidlicher Stärke angewachsen, daß sie auf jede Weise abgeschüttelt werden mußten. Indem Donna Ersilia mit einer ungeduldigen Bewegung ihren Arm

Wege giebt, die zu diesem Andern zu führen vermögen! Wußte Gigia etwa nicht, daß die Padrona Maso's Donna Ersilia hieß? wenn sie Beistand brauchte, warum kam sie nicht? war es so weit von Urballa bis zur Villa La Torre? Nein, das Mädchen, welches nicht nöthig fand, sich über ihre Gefühle zu äußern, fühlte eben nichts: ein träges Geschöpf war es, in dessen Adern Wasser statt Blutes floß. Welch Verhängniß, daß der warmherzige Junge den Schatz seiner Zärtlichkeit so falsch verwendete, so nutzlos ausgab!

Ernstlich betrübt, ja zürnend — ob über Maso, über Gigia, über sich selbst? wer will es entscheiden? — verließ Donna Ersilia ihren auch nur leiblich genesenden Schützling. Auf dem kurzen Gange vor dem Hause des Verwalters hinüber nach ihrem Salotto stieß sie nur einige ganz kurze Ausrufungen hervor, und dieses Versiegen des gewöhnlich so voll strömenden Redeflusses sagte am besten, wie unruhig es arbeitete in der Tiefe ihrer Natur; solch unheimliche Stille trat ein, wenn die Heiterkeit ihrer Seele durch heftige Wallungen gleichsam vulkanischer Elementarkräfte unterbrochen war, und kündigte einen um so heftigeren Ausbruch an. Die unerfreulichen Eindrücke, welche Gigia von allem Anfang an in ihr hervorgerufen durch all ihr Thun und Lassen bestätigt hatte, waren nun zu solch unleidlicher Stärke angewachsen, daß sie auf jede Weise abgeschüttelt werden mußten. Indem Donna Ersilia mit einer ungeduldigen Bewegung ihren Arm

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[0051] Wege giebt, die zu diesem Andern zu führen vermögen! Wußte Gigia etwa nicht, daß die Padrona Maso's Donna Ersilia hieß? wenn sie Beistand brauchte, warum kam sie nicht? war es so weit von Urballa bis zur Villa La Torre? Nein, das Mädchen, welches nicht nöthig fand, sich über ihre Gefühle zu äußern, fühlte eben nichts: ein träges Geschöpf war es, in dessen Adern Wasser statt Blutes floß. Welch Verhängniß, daß der warmherzige Junge den Schatz seiner Zärtlichkeit so falsch verwendete, so nutzlos ausgab! Ernstlich betrübt, ja zürnend — ob über Maso, über Gigia, über sich selbst? wer will es entscheiden? — verließ Donna Ersilia ihren auch nur leiblich genesenden Schützling. Auf dem kurzen Gange vor dem Hause des Verwalters hinüber nach ihrem Salotto stieß sie nur einige ganz kurze Ausrufungen hervor, und dieses Versiegen des gewöhnlich so voll strömenden Redeflusses sagte am besten, wie unruhig es arbeitete in der Tiefe ihrer Natur; solch unheimliche Stille trat ein, wenn die Heiterkeit ihrer Seele durch heftige Wallungen gleichsam vulkanischer Elementarkräfte unterbrochen war, und kündigte einen um so heftigeren Ausbruch an. Die unerfreulichen Eindrücke, welche Gigia von allem Anfang an in ihr hervorgerufen durch all ihr Thun und Lassen bestätigt hatte, waren nun zu solch unleidlicher Stärke angewachsen, daß sie auf jede Weise abgeschüttelt werden mußten. Indem Donna Ersilia mit einer ungeduldigen Bewegung ihren Arm

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/51>, abgerufen am 29.04.2024.