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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ausweg zu suchen aus dem Widerstreite zwischen der Ungeduld ihres Herzens und der Bedächtigkeit ihres Verstandes. Einmal, Beispiels halber, ging Jemand -- es war ein städtischer Beamter -- sie um ihre einflußreiche Verwendung an, damit sie bei seinem Vorgesetzten, dem Bürgermeister von Florenz, eine Beförderung für ihn erlange; sie überzeugte sich, daß er die bessere Stelle nicht verdiene, und hütete sich wohl, ihm zu willfahren; aber sie erwirkte ihm einen Urlaub zum Gebrauch der Seebäder von Viareggio, damit er immerhin auf ein paar Wochen von seinem ungeliebten Amte loskäme.

Ach, wenn es nur ein Bad gegeben hätte, dahin sie den armen Thoren, den Maso, schicken konnte mit einiger Aussicht, daß er da Linderung fände von der bösen Glut, welche ihn entzündet hatte, und welche er selbst in seinem Unverstand fort und fort schürte! Der Junge -- Gott segne ihn! -- wie zwei Kohlen hatten seine Augen geglänzt, als er von der Dirne sprach! Und Donna Ersilia hatte heute früh in der Kirche mit ihren eigenen Ohren gehört, wie Gigia Landi zum ersten Male mit Agenore Lori aufgeboten wurde! Hätte Gigia sich aufbieten lassen, wenn es ihr nicht Ernst damit war, Agenore's Frau zu werden? wenn sie in ihrem Herzen die Neigung für Maso fühlte, welche der unbelehrbare Junge jenem schnöden Absagebrief zum Trotz ihr zutraute? Man läßt sich doch nicht zum Scherze in der Kirche als die Braut des Einen ausrufen, wenn man einen Andern im Sinne trägt und es gute und redliche

Ausweg zu suchen aus dem Widerstreite zwischen der Ungeduld ihres Herzens und der Bedächtigkeit ihres Verstandes. Einmal, Beispiels halber, ging Jemand — es war ein städtischer Beamter — sie um ihre einflußreiche Verwendung an, damit sie bei seinem Vorgesetzten, dem Bürgermeister von Florenz, eine Beförderung für ihn erlange; sie überzeugte sich, daß er die bessere Stelle nicht verdiene, und hütete sich wohl, ihm zu willfahren; aber sie erwirkte ihm einen Urlaub zum Gebrauch der Seebäder von Viareggio, damit er immerhin auf ein paar Wochen von seinem ungeliebten Amte loskäme.

Ach, wenn es nur ein Bad gegeben hätte, dahin sie den armen Thoren, den Maso, schicken konnte mit einiger Aussicht, daß er da Linderung fände von der bösen Glut, welche ihn entzündet hatte, und welche er selbst in seinem Unverstand fort und fort schürte! Der Junge — Gott segne ihn! — wie zwei Kohlen hatten seine Augen geglänzt, als er von der Dirne sprach! Und Donna Ersilia hatte heute früh in der Kirche mit ihren eigenen Ohren gehört, wie Gigia Landi zum ersten Male mit Agenore Lori aufgeboten wurde! Hätte Gigia sich aufbieten lassen, wenn es ihr nicht Ernst damit war, Agenore's Frau zu werden? wenn sie in ihrem Herzen die Neigung für Maso fühlte, welche der unbelehrbare Junge jenem schnöden Absagebrief zum Trotz ihr zutraute? Man läßt sich doch nicht zum Scherze in der Kirche als die Braut des Einen ausrufen, wenn man einen Andern im Sinne trägt und es gute und redliche

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/50>, abgerufen am 29.03.2024.