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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Das ist doch klar, Illustrissima. Wie Agenore mir mit dem Messer drohte, rief Gigia: Thu ihm nichts Agenore, ich will dich heirathen, und daran erst erkannt' ich, wie gut sie mir ist. Ich aber habe gezeigt, daß ich mich vor Agenore nicht fürchte, und daß, so lange ich einen Finger rühren kann, sich auch Gigia nicht vor ihm zu fürchten braucht.

Donna Ersilia suchte ihr Glück darin, Glückliche zu machen, und kam sie damit nicht zu Stande, so empfand sie jenes Unbehagen, welches ein jeder ernsthafte Mensch empfindet, wenn ihm eine durch seinen Beruf gebotene Aufgabe mißlingt. Und die leidigste Unbefriedigung verspürte sie nicht etwa, wenn all ihr Muth und all ihre Thatkraft nicht mit den entgegenstehenden Hindernissen fertig wurden, sondern dann, wenn sie selbst ihrer Helferlust Zwang anthun, ihre Kraft zur Unthätigkeit verdammen mußte. Donna Ersilia war nämlich nicht die Frau, auf ihr eigenes Urtheil zu verzichten, oder ihr Handeln in Widerspruch mit ihrem Urtheil zu setzen. Nimmermehr hätte sie es über sich gewonnen, Wünsche zu erfüllen, die ihr unverständig dünkten, Unternehmungen zu begünstigen, welche sie für verkehrt hielt. Mußte sie sich aber einem Hülfesuchenden versagen, weil sie ihm nicht zu einem Gute verhelfen mochte, von dessen Güte sie selbst nicht überzeugt war, so litt vermuthlich der abgewiesene Bittsteller weniger unter der Abweisung, als sie selbst. Und weil nun einmal völliges Nichtsthun ihr völlige Qual war, so pflegte sie einen

Das ist doch klar, Illustrissima. Wie Agenore mir mit dem Messer drohte, rief Gigia: Thu ihm nichts Agenore, ich will dich heirathen, und daran erst erkannt' ich, wie gut sie mir ist. Ich aber habe gezeigt, daß ich mich vor Agenore nicht fürchte, und daß, so lange ich einen Finger rühren kann, sich auch Gigia nicht vor ihm zu fürchten braucht.

Donna Ersilia suchte ihr Glück darin, Glückliche zu machen, und kam sie damit nicht zu Stande, so empfand sie jenes Unbehagen, welches ein jeder ernsthafte Mensch empfindet, wenn ihm eine durch seinen Beruf gebotene Aufgabe mißlingt. Und die leidigste Unbefriedigung verspürte sie nicht etwa, wenn all ihr Muth und all ihre Thatkraft nicht mit den entgegenstehenden Hindernissen fertig wurden, sondern dann, wenn sie selbst ihrer Helferlust Zwang anthun, ihre Kraft zur Unthätigkeit verdammen mußte. Donna Ersilia war nämlich nicht die Frau, auf ihr eigenes Urtheil zu verzichten, oder ihr Handeln in Widerspruch mit ihrem Urtheil zu setzen. Nimmermehr hätte sie es über sich gewonnen, Wünsche zu erfüllen, die ihr unverständig dünkten, Unternehmungen zu begünstigen, welche sie für verkehrt hielt. Mußte sie sich aber einem Hülfesuchenden versagen, weil sie ihm nicht zu einem Gute verhelfen mochte, von dessen Güte sie selbst nicht überzeugt war, so litt vermuthlich der abgewiesene Bittsteller weniger unter der Abweisung, als sie selbst. Und weil nun einmal völliges Nichtsthun ihr völlige Qual war, so pflegte sie einen

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[0049] Das ist doch klar, Illustrissima. Wie Agenore mir mit dem Messer drohte, rief Gigia: Thu ihm nichts Agenore, ich will dich heirathen, und daran erst erkannt' ich, wie gut sie mir ist. Ich aber habe gezeigt, daß ich mich vor Agenore nicht fürchte, und daß, so lange ich einen Finger rühren kann, sich auch Gigia nicht vor ihm zu fürchten braucht. Donna Ersilia suchte ihr Glück darin, Glückliche zu machen, und kam sie damit nicht zu Stande, so empfand sie jenes Unbehagen, welches ein jeder ernsthafte Mensch empfindet, wenn ihm eine durch seinen Beruf gebotene Aufgabe mißlingt. Und die leidigste Unbefriedigung verspürte sie nicht etwa, wenn all ihr Muth und all ihre Thatkraft nicht mit den entgegenstehenden Hindernissen fertig wurden, sondern dann, wenn sie selbst ihrer Helferlust Zwang anthun, ihre Kraft zur Unthätigkeit verdammen mußte. Donna Ersilia war nämlich nicht die Frau, auf ihr eigenes Urtheil zu verzichten, oder ihr Handeln in Widerspruch mit ihrem Urtheil zu setzen. Nimmermehr hätte sie es über sich gewonnen, Wünsche zu erfüllen, die ihr unverständig dünkten, Unternehmungen zu begünstigen, welche sie für verkehrt hielt. Mußte sie sich aber einem Hülfesuchenden versagen, weil sie ihm nicht zu einem Gute verhelfen mochte, von dessen Güte sie selbst nicht überzeugt war, so litt vermuthlich der abgewiesene Bittsteller weniger unter der Abweisung, als sie selbst. Und weil nun einmal völliges Nichtsthun ihr völlige Qual war, so pflegte sie einen

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/49>, abgerufen am 20.04.2024.