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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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heute müsse sie mit dem Mädchen sprechen und zwar in den Frühstunden des Nachmittags, denn um fünf Uhr erwarte sie ihre Sonntagsgäste aus der Stadt. Der Priore las das Briefchen der Signora mit stillem Vergnügen; er erinnerte sich der Worte, die er jüngst scherzend zu Donna Ersilia gesprochen: daß nur ihrer Redegewalt es gelingen könnte, Eingang zu finden in das verschlossene Gemüth Gigia's, und er meinte, in Folge dieser seiner Worte lasse die verehrte Dame das Mädchen nun zu sich bescheiden. Er ging sofort selbst nach dem Haus der Landi, um die Aufforderung der Donna Ersilia auszurichten, und er brauchte nicht hinzuzufügen, daß man einer solchen Signora nichts abschlagen dürfe: Gigia, die er still dasitzend fand mit vom Weinen gerötheten Augen, zeigte keine Verwunderung, aber auch keine Freude über die Bestellung; sie nickte nur, stand auf, nahm ihren Fächer und sprach: Ich gehe, -- sprach in dem Tone eines Menschen, der nicht anders weiß, als daß er thun muß, was man von ihm fordert.

Eure Signoria hat mich herbefohlen, da bin ich, sagte Gigia, als sie vor der Herrin von La Torre stand. Sie war sehr blaß, ihre Lippen zitterten, und die langen halbgesenkten Wimpern überschatteten zwei trüb blickende Augen. So trostlos blickten diese Augen, daß Donna Ersilia, bei welcher es sonst nicht leicht vorkam, daß sie Widerruf that, jetzt dem deutschen Gaste zuflüsterte: Wahrhaftig, heute ist sie schön! Und zu dem

heute müsse sie mit dem Mädchen sprechen und zwar in den Frühstunden des Nachmittags, denn um fünf Uhr erwarte sie ihre Sonntagsgäste aus der Stadt. Der Priore las das Briefchen der Signora mit stillem Vergnügen; er erinnerte sich der Worte, die er jüngst scherzend zu Donna Ersilia gesprochen: daß nur ihrer Redegewalt es gelingen könnte, Eingang zu finden in das verschlossene Gemüth Gigia's, und er meinte, in Folge dieser seiner Worte lasse die verehrte Dame das Mädchen nun zu sich bescheiden. Er ging sofort selbst nach dem Haus der Landi, um die Aufforderung der Donna Ersilia auszurichten, und er brauchte nicht hinzuzufügen, daß man einer solchen Signora nichts abschlagen dürfe: Gigia, die er still dasitzend fand mit vom Weinen gerötheten Augen, zeigte keine Verwunderung, aber auch keine Freude über die Bestellung; sie nickte nur, stand auf, nahm ihren Fächer und sprach: Ich gehe, — sprach in dem Tone eines Menschen, der nicht anders weiß, als daß er thun muß, was man von ihm fordert.

Eure Signoria hat mich herbefohlen, da bin ich, sagte Gigia, als sie vor der Herrin von La Torre stand. Sie war sehr blaß, ihre Lippen zitterten, und die langen halbgesenkten Wimpern überschatteten zwei trüb blickende Augen. So trostlos blickten diese Augen, daß Donna Ersilia, bei welcher es sonst nicht leicht vorkam, daß sie Widerruf that, jetzt dem deutschen Gaste zuflüsterte: Wahrhaftig, heute ist sie schön! Und zu dem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/55>, abgerufen am 03.05.2024.