Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.letzten Mal, denn ich will nicht, daß du auch nur einen Schritt nach Urballa thuest, so lange ich noch lebe, und das wird gar nicht lange sein, denn ich weiß, das Herz sagt es mir, der Agenore wird mich umbringen -- und es ist unnütz, daß auch du dich von ihm todtstechen lassest; dein Blut käme am Ende gar auf mich, und ich müßte dafür brennen in der Hölle, und ich wünsche dir doch alles Gute, und daß du die Wunde da bekommen, ist es meine Schuld, ist es wirklich meine Schuld, Maso? Statt aller Antwort faßte Maso sie in seine Arme, preßte sie an sich und hatte sie zehnmal auf den Mund geküßt, ehe sie ihn zurückstoßen konnte. Um aller Heiligen willen, Maso, willst du, daß ich auch, wenn ich gestorben bin, elend bleibe und in ewiger Verdammniß schmachte? Weh mir! auf Montisoni läutet's schon -- Addio, Maso, denke nicht mehr an mich -- es ist höchste Zeit, daß ich gehe. Es gelang ihr wirklich mit einer heftigen Anstrengung sich von ihm loszumachen; aber er stürzte ihr nach und erreichte die Davoneilende und packte sie bei dem Band, das ihr Hochzeitskleid gürtete; sie rangen mit einander, und die Verzweiflung der Liebe gab ihm größere Stärke als ihr die Verzweiflung der Angst. Als er sie widerstandslos in seine Gewalt gegeben sah, lachte er wieder hell auf: Du hast's haben wollen, Gigia, daß ich dir die Arme so zusammenschnürte; nun bist du matt vor Schmerz und kannst nicht mehr Oh sagen; aber du hast's haben wollen. letzten Mal, denn ich will nicht, daß du auch nur einen Schritt nach Urballa thuest, so lange ich noch lebe, und das wird gar nicht lange sein, denn ich weiß, das Herz sagt es mir, der Agenore wird mich umbringen — und es ist unnütz, daß auch du dich von ihm todtstechen lassest; dein Blut käme am Ende gar auf mich, und ich müßte dafür brennen in der Hölle, und ich wünsche dir doch alles Gute, und daß du die Wunde da bekommen, ist es meine Schuld, ist es wirklich meine Schuld, Maso? Statt aller Antwort faßte Maso sie in seine Arme, preßte sie an sich und hatte sie zehnmal auf den Mund geküßt, ehe sie ihn zurückstoßen konnte. Um aller Heiligen willen, Maso, willst du, daß ich auch, wenn ich gestorben bin, elend bleibe und in ewiger Verdammniß schmachte? Weh mir! auf Montisoni läutet's schon — Addio, Maso, denke nicht mehr an mich — es ist höchste Zeit, daß ich gehe. Es gelang ihr wirklich mit einer heftigen Anstrengung sich von ihm loszumachen; aber er stürzte ihr nach und erreichte die Davoneilende und packte sie bei dem Band, das ihr Hochzeitskleid gürtete; sie rangen mit einander, und die Verzweiflung der Liebe gab ihm größere Stärke als ihr die Verzweiflung der Angst. Als er sie widerstandslos in seine Gewalt gegeben sah, lachte er wieder hell auf: Du hast's haben wollen, Gigia, daß ich dir die Arme so zusammenschnürte; nun bist du matt vor Schmerz und kannst nicht mehr Oh sagen; aber du hast's haben wollen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072"/> letzten Mal, denn ich will nicht, daß du auch nur einen Schritt nach Urballa thuest, so lange ich noch lebe, und das wird gar nicht lange sein, denn ich weiß, das Herz sagt es mir, der Agenore wird mich umbringen — und es ist unnütz, daß auch du dich von ihm todtstechen lassest; dein Blut käme am Ende gar auf mich, und ich müßte dafür brennen in der Hölle, und ich wünsche dir doch alles Gute, und daß du die Wunde da bekommen, ist es meine Schuld, ist es wirklich meine Schuld, Maso?</p><lb/> <p>Statt aller Antwort faßte Maso sie in seine Arme, preßte sie an sich und hatte sie zehnmal auf den Mund geküßt, ehe sie ihn zurückstoßen konnte.</p><lb/> <p>Um aller Heiligen willen, Maso, willst du, daß ich auch, wenn ich gestorben bin, elend bleibe und in ewiger Verdammniß schmachte? Weh mir! auf Montisoni läutet's schon — Addio, Maso, denke nicht mehr an mich — es ist höchste Zeit, daß ich gehe. </p><lb/> <p>Es gelang ihr wirklich mit einer heftigen Anstrengung sich von ihm loszumachen; aber er stürzte ihr nach und erreichte die Davoneilende und packte sie bei dem Band, das ihr Hochzeitskleid gürtete; sie rangen mit einander, und die Verzweiflung der Liebe gab ihm größere Stärke als ihr die Verzweiflung der Angst. Als er sie widerstandslos in seine Gewalt gegeben sah, lachte er wieder hell auf: Du hast's haben wollen, Gigia, daß ich dir die Arme so zusammenschnürte; nun bist du matt vor Schmerz und kannst nicht mehr Oh sagen; aber du hast's haben wollen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
letzten Mal, denn ich will nicht, daß du auch nur einen Schritt nach Urballa thuest, so lange ich noch lebe, und das wird gar nicht lange sein, denn ich weiß, das Herz sagt es mir, der Agenore wird mich umbringen — und es ist unnütz, daß auch du dich von ihm todtstechen lassest; dein Blut käme am Ende gar auf mich, und ich müßte dafür brennen in der Hölle, und ich wünsche dir doch alles Gute, und daß du die Wunde da bekommen, ist es meine Schuld, ist es wirklich meine Schuld, Maso?
Statt aller Antwort faßte Maso sie in seine Arme, preßte sie an sich und hatte sie zehnmal auf den Mund geküßt, ehe sie ihn zurückstoßen konnte.
Um aller Heiligen willen, Maso, willst du, daß ich auch, wenn ich gestorben bin, elend bleibe und in ewiger Verdammniß schmachte? Weh mir! auf Montisoni läutet's schon — Addio, Maso, denke nicht mehr an mich — es ist höchste Zeit, daß ich gehe.
Es gelang ihr wirklich mit einer heftigen Anstrengung sich von ihm loszumachen; aber er stürzte ihr nach und erreichte die Davoneilende und packte sie bei dem Band, das ihr Hochzeitskleid gürtete; sie rangen mit einander, und die Verzweiflung der Liebe gab ihm größere Stärke als ihr die Verzweiflung der Angst. Als er sie widerstandslos in seine Gewalt gegeben sah, lachte er wieder hell auf: Du hast's haben wollen, Gigia, daß ich dir die Arme so zusammenschnürte; nun bist du matt vor Schmerz und kannst nicht mehr Oh sagen; aber du hast's haben wollen.
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Zitationshilfe: | Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/72>, abgerufen am 16.02.2025. |