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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dich aufbrachtest, und wie er dir das Messer in die Brust stieß. Und weil ich nicht verdiene, daß du aus Liebe zu mir sterbest, darum bin ich hergekommen und hab' es dir gesagt, daß du mich vergessen mußt. Und sieh an, was du gethan hast, -- du hast mich mit Gewalt hier gehalten, und jetzt ist es so spät, daß ich nicht mehr so ungesehen heim kann, wie ich ungesehen gekommen bin. Es ist gewiß schon sechs Uhr; um sechs Uhr aber wollte ich in San Giorgio sein und bei dem Herrn Priore beichten -- auch diese Sünde, daß ich so heimlich hierhergelaufen bin, -- und ihm sagen, daß es ja gewiß Buße genug sei, den Agenore zu heirathen, der mir so zuwider ist --

Siehst du, er ist dir zuwider, mich aber hast du lieb, Gigia mia.

Nein, ich habe dich nicht lieb, ich habe ein starres Herz, das nicht lieben kann, deine Padrona hat es mir gesagt, und daß ich dich nicht verdiene, und daß ich den Agenore heirathen müsse.

Das hätte die Padrona gesagt? Nun, möglich ist es, aber so gemeint hat' sie's nicht. Dazu ist sie viel zu gut. O, ich kenne sie jetzt. Gut ist sie, aber auch schlau. Die sagt einem nie, was sie für einen thun will, und sie thut's doch, damit man zu der Freude auch die Ueberraschung habe. Aber ich weiß es längst, und mich hat sie nie irre gemacht. Auch mir wollte sie einreden, daß ich dich nie haben werde und daß du mir nicht gut seist und andere solche Märchen. Aber

dich aufbrachtest, und wie er dir das Messer in die Brust stieß. Und weil ich nicht verdiene, daß du aus Liebe zu mir sterbest, darum bin ich hergekommen und hab' es dir gesagt, daß du mich vergessen mußt. Und sieh an, was du gethan hast, — du hast mich mit Gewalt hier gehalten, und jetzt ist es so spät, daß ich nicht mehr so ungesehen heim kann, wie ich ungesehen gekommen bin. Es ist gewiß schon sechs Uhr; um sechs Uhr aber wollte ich in San Giorgio sein und bei dem Herrn Priore beichten — auch diese Sünde, daß ich so heimlich hierhergelaufen bin, — und ihm sagen, daß es ja gewiß Buße genug sei, den Agenore zu heirathen, der mir so zuwider ist —

Siehst du, er ist dir zuwider, mich aber hast du lieb, Gigia mia.

Nein, ich habe dich nicht lieb, ich habe ein starres Herz, das nicht lieben kann, deine Padrona hat es mir gesagt, und daß ich dich nicht verdiene, und daß ich den Agenore heirathen müsse.

Das hätte die Padrona gesagt? Nun, möglich ist es, aber so gemeint hat' sie's nicht. Dazu ist sie viel zu gut. O, ich kenne sie jetzt. Gut ist sie, aber auch schlau. Die sagt einem nie, was sie für einen thun will, und sie thut's doch, damit man zu der Freude auch die Ueberraschung habe. Aber ich weiß es längst, und mich hat sie nie irre gemacht. Auch mir wollte sie einreden, daß ich dich nie haben werde und daß du mir nicht gut seist und andere solche Märchen. Aber

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[0074] dich aufbrachtest, und wie er dir das Messer in die Brust stieß. Und weil ich nicht verdiene, daß du aus Liebe zu mir sterbest, darum bin ich hergekommen und hab' es dir gesagt, daß du mich vergessen mußt. Und sieh an, was du gethan hast, — du hast mich mit Gewalt hier gehalten, und jetzt ist es so spät, daß ich nicht mehr so ungesehen heim kann, wie ich ungesehen gekommen bin. Es ist gewiß schon sechs Uhr; um sechs Uhr aber wollte ich in San Giorgio sein und bei dem Herrn Priore beichten — auch diese Sünde, daß ich so heimlich hierhergelaufen bin, — und ihm sagen, daß es ja gewiß Buße genug sei, den Agenore zu heirathen, der mir so zuwider ist — Siehst du, er ist dir zuwider, mich aber hast du lieb, Gigia mia. Nein, ich habe dich nicht lieb, ich habe ein starres Herz, das nicht lieben kann, deine Padrona hat es mir gesagt, und daß ich dich nicht verdiene, und daß ich den Agenore heirathen müsse. Das hätte die Padrona gesagt? Nun, möglich ist es, aber so gemeint hat' sie's nicht. Dazu ist sie viel zu gut. O, ich kenne sie jetzt. Gut ist sie, aber auch schlau. Die sagt einem nie, was sie für einen thun will, und sie thut's doch, damit man zu der Freude auch die Ueberraschung habe. Aber ich weiß es längst, und mich hat sie nie irre gemacht. Auch mir wollte sie einreden, daß ich dich nie haben werde und daß du mir nicht gut seist und andere solche Märchen. Aber

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/74>, abgerufen am 03.05.2024.