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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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Ein kleines Gemälde von Hackert hätte ich euch
gern mitgebracht, als Typus von hiesiger Land-
schaft
oder Aussicht. Es stellt einen Kanal mit
schönen, hohen, lichten Bäumen vor, und ein
Landhaus daneben, gerade als sähet ihr in einem
Spiegel sich die Landschaft vor der Amstel abzeich-
nen, so natürlich! ob denn Hackert in Holland
war? denn seinen Namen nannte mir der Aufse-
her der Sammlung. Zwei alte Gemälde, bibli-
sche Gegenstände darstellend, von van der Eyck,
einem Vorgänger Dürers, sah ich mit viel Theil-
nahme; da kommt mir die Kunst vor, wie der
eben ausgekrochne Schmetterling, sie hebt die Flü-
gel, sie ahndet das Reich der Farben, des Lichts,
der Geister erhabenste Gedanken; aber noch hält
sie Ungewohnheit zurück, noch getraut sie sich
nicht der Schöpfung ins Auge zu sehen, die sich
vor ihr öffnet. Mir ists wie vor der Wiege eines
Kindes in Windeln und Banden so weich und so
betend über die Kraft, die sich soll in ihm zum
Menschen bilden. -- Von den viereckten Schleiern
und flachen Gesichtern, und behangnen Schulter-
knochen zu Raphaels Himmelskönigin! -- --
Die Idealisirung abgerechnet, ist der Mangel an
Perspektive in diesen alten Gemälden neben Rem-

M

Ein kleines Gemaͤlde von Hackert haͤtte ich euch
gern mitgebracht, als Typus von hieſiger Land-
ſchaft
oder Ausſicht. Es ſtellt einen Kanal mit
ſchoͤnen, hohen, lichten Baͤumen vor, und ein
Landhaus daneben, gerade als ſaͤhet ihr in einem
Spiegel ſich die Landſchaft vor der Amſtel abzeich-
nen, ſo natuͤrlich! ob denn Hackert in Holland
war? denn ſeinen Namen nannte mir der Aufſe-
her der Sammlung. Zwei alte Gemaͤlde, bibli-
ſche Gegenſtaͤnde darſtellend, von van der Eyck,
einem Vorgaͤnger Duͤrers, ſah ich mit viel Theil-
nahme; da kommt mir die Kunſt vor, wie der
eben ausgekrochne Schmetterling, ſie hebt die Fluͤ-
gel, ſie ahndet das Reich der Farben, des Lichts,
der Geiſter erhabenſte Gedanken; aber noch haͤlt
ſie Ungewohnheit zuruͤck, noch getraut ſie ſich
nicht der Schoͤpfung ins Auge zu ſehen, die ſich
vor ihr oͤffnet. Mir iſts wie vor der Wiege eines
Kindes in Windeln und Banden ſo weich und ſo
betend uͤber die Kraft, die ſich ſoll in ihm zum
Menſchen bilden. — Von den viereckten Schleiern
und flachen Geſichtern, und behangnen Schulter-
knochen zu Raphaels Himmelskoͤnigin! — —
Die Idealiſirung abgerechnet, iſt der Mangel an
Perſpektive in dieſen alten Gemaͤlden neben Rem-

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[177/0191] Ein kleines Gemaͤlde von Hackert haͤtte ich euch gern mitgebracht, als Typus von hieſiger Land- ſchaft oder Ausſicht. Es ſtellt einen Kanal mit ſchoͤnen, hohen, lichten Baͤumen vor, und ein Landhaus daneben, gerade als ſaͤhet ihr in einem Spiegel ſich die Landſchaft vor der Amſtel abzeich- nen, ſo natuͤrlich! ob denn Hackert in Holland war? denn ſeinen Namen nannte mir der Aufſe- her der Sammlung. Zwei alte Gemaͤlde, bibli- ſche Gegenſtaͤnde darſtellend, von van der Eyck, einem Vorgaͤnger Duͤrers, ſah ich mit viel Theil- nahme; da kommt mir die Kunſt vor, wie der eben ausgekrochne Schmetterling, ſie hebt die Fluͤ- gel, ſie ahndet das Reich der Farben, des Lichts, der Geiſter erhabenſte Gedanken; aber noch haͤlt ſie Ungewohnheit zuruͤck, noch getraut ſie ſich nicht der Schoͤpfung ins Auge zu ſehen, die ſich vor ihr oͤffnet. Mir iſts wie vor der Wiege eines Kindes in Windeln und Banden ſo weich und ſo betend uͤber die Kraft, die ſich ſoll in ihm zum Menſchen bilden. — Von den viereckten Schleiern und flachen Geſichtern, und behangnen Schulter- knochen zu Raphaels Himmelskoͤnigin! — — Die Idealiſirung abgerechnet, iſt der Mangel an Perſpektive in dieſen alten Gemaͤlden neben Rem- M

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/191>, abgerufen am 22.12.2024.