lebhaftes Gefühl verbindet die Eindrücke zu schnell, um ihre Zusammensetzung genau zu unterscheiden, und darum könnte ich Euch immer nur sagen, was ich empfand, wenig beschreiben, was ich sah. Tritt gütig ein Wissender zu mir, um mich über den Werth des Einzelnen zu belehren, so vervielfältigt sich mein Genuß, ja, wenn ich Zeit habe, entdecke ich selbst die einzelnen Theile, aber mir selbst über- lassen, weiß ich nicht, ob dieser Farbenton diesem oder jenem Maler, dieses Fleisch diesem oder jenem Künstler gehört. Wir Art Leute müssen nicht ur- theilen, wir müssen uns begnügen wahrzunehmen, aufzufassen -- freilich macht uns das Gesehene dann nicht ansehnlicher und bedeutender für die äußre Welt, aber unsre innre Welt wird reicher und größer. Wenn du die Blumen der Flur frägst: welcher Sonnenstrahl gab euch euern Duft, welcher Thautropfen eure freundlichen Farben? wissen sie es ja auch nicht, aber ihre blühenden Köpfchen richten sich gen Himmel und deuten: dorther, dorther! Es ist ja recht lächerlich, aber es ist doch so, daß das lebendigste Gefühl, wenn ich eine Zeitlang mit Kunst oder Wissenschaft lebte, immer das ist, besser geworden zu seyn. -- --
lebhaftes Gefuͤhl verbindet die Eindruͤcke zu ſchnell, um ihre Zuſammenſetzung genau zu unterſcheiden, und darum koͤnnte ich Euch immer nur ſagen, was ich empfand, wenig beſchreiben, was ich ſah. Tritt guͤtig ein Wiſſender zu mir, um mich uͤber den Werth des Einzelnen zu belehren, ſo vervielfaͤltigt ſich mein Genuß, ja, wenn ich Zeit habe, entdecke ich ſelbſt die einzelnen Theile, aber mir ſelbſt uͤber- laſſen, weiß ich nicht, ob dieſer Farbenton dieſem oder jenem Maler, dieſes Fleiſch dieſem oder jenem Kuͤnſtler gehoͤrt. Wir Art Leute muͤſſen nicht ur- theilen, wir muͤſſen uns begnuͤgen wahrzunehmen, aufzufaſſen — freilich macht uns das Geſehene dann nicht anſehnlicher und bedeutender fuͤr die aͤußre Welt, aber unſre innre Welt wird reicher und groͤßer. Wenn du die Blumen der Flur fraͤgſt: welcher Sonnenſtrahl gab euch euern Duft, welcher Thautropfen eure freundlichen Farben? wiſſen ſie es ja auch nicht, aber ihre bluͤhenden Koͤpfchen richten ſich gen Himmel und deuten: dorther, dorther! Es iſt ja recht laͤcherlich, aber es iſt doch ſo, daß das lebendigſte Gefuͤhl, wenn ich eine Zeitlang mit Kunſt oder Wiſſenſchaft lebte, immer das iſt, beſſer geworden zu ſeyn. — —
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lebhaftes Gefuͤhl verbindet die Eindruͤcke zu ſchnell,
um ihre Zuſammenſetzung genau zu unterſcheiden,
und darum koͤnnte ich Euch immer nur ſagen, was
ich empfand, wenig beſchreiben, was ich ſah. Tritt
guͤtig ein Wiſſender zu mir, um mich uͤber den
Werth des Einzelnen zu belehren, ſo vervielfaͤltigt
ſich mein Genuß, ja, wenn ich Zeit habe, entdecke
ich ſelbſt die einzelnen Theile, aber mir ſelbſt uͤber-
laſſen, weiß ich nicht, ob dieſer Farbenton dieſem
oder jenem Maler, dieſes Fleiſch dieſem oder jenem
Kuͤnſtler gehoͤrt. Wir Art Leute muͤſſen nicht ur-
theilen, wir muͤſſen uns begnuͤgen wahrzunehmen,
aufzufaſſen — freilich macht uns das Geſehene
dann nicht anſehnlicher und bedeutender fuͤr die
aͤußre Welt, aber unſre innre Welt wird reicher
und groͤßer. Wenn du die Blumen der Flur
fraͤgſt: welcher Sonnenſtrahl gab euch euern Duft,
welcher Thautropfen eure freundlichen Farben?
wiſſen ſie es ja auch nicht, aber ihre bluͤhenden
Koͤpfchen richten ſich gen Himmel und deuten:
dorther, dorther! Es iſt ja recht laͤcherlich, aber
es iſt doch ſo, daß das lebendigſte Gefuͤhl, wenn
ich eine Zeitlang mit Kunſt oder Wiſſenſchaft lebte,
immer das iſt, beſſer geworden zu ſeyn. — —
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/190>, abgerufen am 22.12.2024.
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