ihr Haus auf, wie sie die Heiligen und ihre Sie- gesfahnen verjagten. Für das Gepränge, die Blumenkränze, die Kerzen, gehört eine Natur, die der Mensch nicht immer mit eisernem Zepter beherrschen muß, gehört eine lebhaft genießende Nation, in deren Leben die Berechnung des mor- genden Tages nicht durchaus nothwendig ist. -- Der Katholicismus gehört unter einen warmen Himmel, nicht in diese feucht kühle Luft. Aber die Geistlichen der andern Confessionen -- welcher Segen könnte von ihnen nicht hier ausgehen! denn ich gestehe, daß mich die äußere Form der hiesi- gen Frömmigkeit durchaus nicht so abschreckt, daß ich nicht überzeugt wäre, hier zu Lande sey wirk- lich noch mehr Religion, wie an vielen andern Orten. Ich meine hier unter Religion das Be- dürfniß des Menschen nach dem Göttlichen. Die Form ist hier befremdend, ja ich weiß wohl, daß der Weg, auf dem diese Menschen suchen, ein Ab- weg ist; aber ich ehre ihr Suchen. Der das thut, der kann noch finden, der übermüthig schon gefun- den zu haben glaubt, oder gar nicht spürt, daß ihm noch fehle -- der ist arm. Allgemein hält man hier noch die äußre Religions-Uebung hei- lig, und die Geistlichen haben viel Einfluß in den
ihr Haus auf, wie ſie die Heiligen und ihre Sie- gesfahnen verjagten. Fuͤr das Gepraͤnge, die Blumenkraͤnze, die Kerzen, gehoͤrt eine Natur, die der Menſch nicht immer mit eiſernem Zepter beherrſchen muß, gehoͤrt eine lebhaft genießende Nation, in deren Leben die Berechnung des mor- genden Tages nicht durchaus nothwendig iſt. — Der Katholicismus gehoͤrt unter einen warmen Himmel, nicht in dieſe feucht kuͤhle Luft. Aber die Geiſtlichen der andern Confeſſionen — welcher Segen koͤnnte von ihnen nicht hier ausgehen! denn ich geſtehe, daß mich die aͤußere Form der hieſi- gen Froͤmmigkeit durchaus nicht ſo abſchreckt, daß ich nicht uͤberzeugt waͤre, hier zu Lande ſey wirk- lich noch mehr Religion, wie an vielen andern Orten. Ich meine hier unter Religion das Be- duͤrfniß des Menſchen nach dem Goͤttlichen. Die Form iſt hier befremdend, ja ich weiß wohl, daß der Weg, auf dem dieſe Menſchen ſuchen, ein Ab- weg iſt; aber ich ehre ihr Suchen. Der das thut, der kann noch finden, der uͤbermuͤthig ſchon gefun- den zu haben glaubt, oder gar nicht ſpuͤrt, daß ihm noch fehle — der iſt arm. Allgemein haͤlt man hier noch die aͤußre Religions-Uebung hei- lig, und die Geiſtlichen haben viel Einfluß in den
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ihr Haus auf, wie ſie die Heiligen und ihre Sie-
gesfahnen verjagten. Fuͤr das Gepraͤnge, die
Blumenkraͤnze, die Kerzen, gehoͤrt eine Natur,
die der Menſch nicht immer mit eiſernem Zepter
beherrſchen muß, gehoͤrt eine lebhaft genießende
Nation, in deren Leben die Berechnung des mor-
genden Tages nicht durchaus nothwendig iſt. —
Der Katholicismus gehoͤrt unter einen warmen
Himmel, nicht in dieſe feucht kuͤhle Luft. Aber
die Geiſtlichen der andern Confeſſionen — welcher
Segen koͤnnte von ihnen nicht hier ausgehen! denn
ich geſtehe, daß mich die aͤußere Form der hieſi-
gen Froͤmmigkeit durchaus nicht ſo abſchreckt, daß
ich nicht uͤberzeugt waͤre, hier zu Lande ſey wirk-
lich noch mehr Religion, wie an vielen andern
Orten. Ich meine hier unter Religion das Be-
duͤrfniß des Menſchen nach dem Goͤttlichen. Die
Form iſt hier befremdend, ja ich weiß wohl, daß
der Weg, auf dem dieſe Menſchen ſuchen, ein Ab-
weg iſt; aber ich ehre ihr Suchen. Der das thut,
der kann noch finden, der uͤbermuͤthig ſchon gefun-
den zu haben glaubt, oder gar nicht ſpuͤrt, daß
ihm noch fehle — der iſt arm. Allgemein haͤlt
man hier noch die aͤußre Religions-Uebung hei-
lig, und die Geiſtlichen haben viel Einfluß in den
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/199>, abgerufen am 22.12.2024.
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