bäudes eine Weiberstimme deklamiren, und ent- deckten bei näherer Untersuchung drei alte Frauen, welche sich die Predigt des Vormittags wiederhol- ten. Die Wohlredenheit und das Gedächtniß der einen war bewundernswürdig! sie wiederholte lan- ge Perioden mit einem Feuer und einer Salbung, die mich in Erstaunen setzte. O das goldne Land für Kanzelredner! dennoch klagt man auch hier, daß die Kirchen nicht mehr so häufig besucht wer- den, wie ehemals. Mir ists jemehr und mehr, als sey der Eifer mit dem die Holländer die Refor- mation annahmen, sehr natürlich auf ihrem Bo- den, Klima, und also auf ihrem Charakter ge- gründet gewesen. Weder das Mystische, noch das Phantastische, noch das Lebensfrohe des Katholi- cismus konnte für sie gemacht seyn, und vor allen nicht das Symbolisirende, welches so viel Beweg- lichkeit des Geistes erfordert. Nimmt man dann noch die Verumständungen hinzu, wo der Handelsgeist mit dem Reformationsgeist Hand in Hand ging, da konnte eine so sinnliche, leiden- schaftliche, das Gemüth aufreizende Glaubens- lehre nicht angenehm seyn für das Volk, und nicht zweckmäßig für die Volksführer. Es mußte den wackern Leuten ordentlich seyn, als räumten sie
baͤudes eine Weiberſtimme deklamiren, und ent- deckten bei naͤherer Unterſuchung drei alte Frauen, welche ſich die Predigt des Vormittags wiederhol- ten. Die Wohlredenheit und das Gedaͤchtniß der einen war bewundernswuͤrdig! ſie wiederholte lan- ge Perioden mit einem Feuer und einer Salbung, die mich in Erſtaunen ſetzte. O das goldne Land fuͤr Kanzelredner! dennoch klagt man auch hier, daß die Kirchen nicht mehr ſo haͤufig beſucht wer- den, wie ehemals. Mir iſts jemehr und mehr, als ſey der Eifer mit dem die Hollaͤnder die Refor- mation annahmen, ſehr natuͤrlich auf ihrem Bo- den, Klima, und alſo auf ihrem Charakter ge- gruͤndet geweſen. Weder das Myſtiſche, noch das Phantaſtiſche, noch das Lebensfrohe des Katholi- cismus konnte fuͤr ſie gemacht ſeyn, und vor allen nicht das Symboliſirende, welches ſo viel Beweg- lichkeit des Geiſtes erfordert. Nimmt man dann noch die Verumſtaͤndungen hinzu, wo der Handelsgeiſt mit dem Reformationsgeiſt Hand in Hand ging, da konnte eine ſo ſinnliche, leiden- ſchaftliche, das Gemuͤth aufreizende Glaubens- lehre nicht angenehm ſeyn fuͤr das Volk, und nicht zweckmaͤßig fuͤr die Volksfuͤhrer. Es mußte den wackern Leuten ordentlich ſeyn, als raͤumten ſie
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baͤudes eine Weiberſtimme deklamiren, und ent-
deckten bei naͤherer Unterſuchung drei alte Frauen,
welche ſich die Predigt des Vormittags wiederhol-
ten. Die Wohlredenheit und das Gedaͤchtniß der
einen war bewundernswuͤrdig! ſie wiederholte lan-
ge Perioden mit einem Feuer und einer Salbung,
die mich in Erſtaunen ſetzte. O das goldne Land
fuͤr Kanzelredner! dennoch klagt man auch hier,
daß die Kirchen nicht mehr ſo haͤufig beſucht wer-
den, wie ehemals. Mir iſts jemehr und mehr,
als ſey der Eifer mit dem die Hollaͤnder die Refor-
mation annahmen, ſehr natuͤrlich auf ihrem Bo-
den, Klima, und alſo auf ihrem Charakter ge-
gruͤndet geweſen. Weder das Myſtiſche, noch das
Phantaſtiſche, noch das Lebensfrohe des Katholi-
cismus konnte fuͤr ſie gemacht ſeyn, und vor allen
nicht das Symboliſirende, welches ſo viel Beweg-
lichkeit des Geiſtes erfordert. Nimmt man dann
noch die Verumſtaͤndungen hinzu, wo der
Handelsgeiſt mit dem Reformationsgeiſt Hand in
Hand ging, da konnte eine ſo ſinnliche, leiden-
ſchaftliche, das Gemuͤth aufreizende Glaubens-
lehre nicht angenehm ſeyn fuͤr das Volk, und nicht
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/198>, abgerufen am 22.12.2024.
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