stet oder nicht. Ihr Trauerspiel ist ganz nach dem Muster des französischen in Alexandrinern gedich- tet, welches ihnen bei ihrer reichen Sprache, und der wunderbaren Freiheit, Worte zusammen zu ziehen und abzukürzen, sehr leicht wird -- auch noch durch den Umstand, daß sie viel weniger wie wir an edeln und unedeln Ausdrücken mäkeln, wo- durch der Geschmack endlich eine so kränkliche Zart- heit erhalten kann, daß er das Gemüth wahrhaft quält, indem er die Empfindung durch das Ge- ringfügigste stört. Ich spreche hier nicht von den heillosen Reminiscenzen, die den Deutschen bei der holländischen Sprache aufschrecken, sondern von der Berechtigung oder Gewohnheit der hollän- dischen Dichter gleiche Worte, wie der Ausrufer, oder die Kindermuhme zu brauchen. In den mei- sten Fällen glaube ich, daß dieser Gebrauch heil- sam ist, indem er die Energie der Sprache erhält, und ich möchte sogar meinen, daß diese Störung -- wäre der Dichter übrigens im Stande Begei- sterung zu erregen -- gar nicht eintreten würde. Das Süjet des Original-Trauerspiels ist oft aus der vaterländischen Geschichte genommen -- und welchen Reichthum schöner Züge, würdig den En- keln zum Beispiel aufgestellt zu werden, enthält
ſtet oder nicht. Ihr Trauerſpiel iſt ganz nach dem Muſter des franzoͤſiſchen in Alexandrinern gedich- tet, welches ihnen bei ihrer reichen Sprache, und der wunderbaren Freiheit, Worte zuſammen zu ziehen und abzukuͤrzen, ſehr leicht wird — auch noch durch den Umſtand, daß ſie viel weniger wie wir an edeln und unedeln Ausdruͤcken maͤkeln, wo- durch der Geſchmack endlich eine ſo kraͤnkliche Zart- heit erhalten kann, daß er das Gemuͤth wahrhaft quaͤlt, indem er die Empfindung durch das Ge- ringfuͤgigſte ſtoͤrt. Ich ſpreche hier nicht von den heilloſen Reminiſcenzen, die den Deutſchen bei der hollaͤndiſchen Sprache aufſchrecken, ſondern von der Berechtigung oder Gewohnheit der hollaͤn- diſchen Dichter gleiche Worte, wie der Ausrufer, oder die Kindermuhme zu brauchen. In den mei- ſten Faͤllen glaube ich, daß dieſer Gebrauch heil- ſam iſt, indem er die Energie der Sprache erhaͤlt, und ich moͤchte ſogar meinen, daß dieſe Stoͤrung — waͤre der Dichter uͤbrigens im Stande Begei- ſterung zu erregen — gar nicht eintreten wuͤrde. Das Suͤjet des Original-Trauerſpiels iſt oft aus der vaterlaͤndiſchen Geſchichte genommen — und welchen Reichthum ſchoͤner Zuͤge, wuͤrdig den En- keln zum Beiſpiel aufgeſtellt zu werden, enthaͤlt
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[210/0224]
ſtet oder nicht. Ihr Trauerſpiel iſt ganz nach dem
Muſter des franzoͤſiſchen in Alexandrinern gedich-
tet, welches ihnen bei ihrer reichen Sprache, und
der wunderbaren Freiheit, Worte zuſammen zu
ziehen und abzukuͤrzen, ſehr leicht wird — auch
noch durch den Umſtand, daß ſie viel weniger wie
wir an edeln und unedeln Ausdruͤcken maͤkeln, wo-
durch der Geſchmack endlich eine ſo kraͤnkliche Zart-
heit erhalten kann, daß er das Gemuͤth wahrhaft
quaͤlt, indem er die Empfindung durch das Ge-
ringfuͤgigſte ſtoͤrt. Ich ſpreche hier nicht von den
heilloſen Reminiſcenzen, die den Deutſchen bei
der hollaͤndiſchen Sprache aufſchrecken, ſondern
von der Berechtigung oder Gewohnheit der hollaͤn-
diſchen Dichter gleiche Worte, wie der Ausrufer,
oder die Kindermuhme zu brauchen. In den mei-
ſten Faͤllen glaube ich, daß dieſer Gebrauch heil-
ſam iſt, indem er die Energie der Sprache erhaͤlt,
und ich moͤchte ſogar meinen, daß dieſe Stoͤrung
— waͤre der Dichter uͤbrigens im Stande Begei-
ſterung zu erregen — gar nicht eintreten wuͤrde.
Das Suͤjet des Original-Trauerſpiels iſt oft aus
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keln zum Beiſpiel aufgeſtellt zu werden, enthaͤlt
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/224>, abgerufen am 22.12.2024.
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