Hollands Geschichte! -- Ich las mit dem wärm- sten Antheil an dem Gegenstande verschiedne va- terländische Stücke, ich ließ mir, wo nur eine Ge- legenheit sich darbot, von ihnen erzählen, aber ich gestehe, daß ihre Ausführung meine Forderun- gen an die Kunst nie befriedigte. Die Sprache störte mich nicht, aber die Leere der Gedanken und der Handlung drückte mich. Mühselig fand ich hier und da eine Stelle, nirgends poetischen Schwung, der uns in Frankreichs Dichtern der tragischen Bühne fesselt, wenn das Dialog uns auch kalt läßt. Da ich nur das Vorzüglichste, was man mir empfahl, lesen konnte, und gar nicht Zeit hatte, noch Gelegenheit diesen Zweig der Dichtkunst zu erschöpfen, ist das eben Gesagte nur meine Ansicht, nach der Ihr kein Urtheil bil- den sollt. Von der einen Seite sollten die Dichter dieses Landes sich über die Mittelmäßigkeit auf- schwingen können. Das Studium und die Spra- che der Alten bildete sie, und ihres Landes Ge- schichte kann sie begeistern, aber die Fesseln, die sie freiwillig von ihren Nachbarn borgen, von ei- nem Volke, dessen Bildungsgeschichte, Sitten, Charakter, Geschichte, ihnen so fremd, so wider- strebend ist, können ihre glücklichen Anlagen viel-
O 2
Hollands Geſchichte! — Ich las mit dem waͤrm- ſten Antheil an dem Gegenſtande verſchiedne va- terlaͤndiſche Stuͤcke, ich ließ mir, wo nur eine Ge- legenheit ſich darbot, von ihnen erzaͤhlen, aber ich geſtehe, daß ihre Ausfuͤhrung meine Forderun- gen an die Kunſt nie befriedigte. Die Sprache ſtoͤrte mich nicht, aber die Leere der Gedanken und der Handlung druͤckte mich. Muͤhſelig fand ich hier und da eine Stelle, nirgends poetiſchen Schwung, der uns in Frankreichs Dichtern der tragiſchen Buͤhne feſſelt, wenn das Dialog uns auch kalt laͤßt. Da ich nur das Vorzuͤglichſte, was man mir empfahl, leſen konnte, und gar nicht Zeit hatte, noch Gelegenheit dieſen Zweig der Dichtkunſt zu erſchoͤpfen, iſt das eben Geſagte nur meine Anſicht, nach der Ihr kein Urtheil bil- den ſollt. Von der einen Seite ſollten die Dichter dieſes Landes ſich uͤber die Mittelmaͤßigkeit auf- ſchwingen koͤnnen. Das Studium und die Spra- che der Alten bildete ſie, und ihres Landes Ge- ſchichte kann ſie begeiſtern, aber die Feſſeln, die ſie freiwillig von ihren Nachbarn borgen, von ei- nem Volke, deſſen Bildungsgeſchichte, Sitten, Charakter, Geſchichte, ihnen ſo fremd, ſo wider- ſtrebend iſt, koͤnnen ihre gluͤcklichen Anlagen viel-
O 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0225"n="211"/>
Hollands Geſchichte! — Ich las mit dem waͤrm-<lb/>ſten Antheil an dem Gegenſtande verſchiedne va-<lb/>
terlaͤndiſche Stuͤcke, ich ließ mir, wo nur eine Ge-<lb/>
legenheit ſich darbot, von ihnen erzaͤhlen, aber ich<lb/>
geſtehe, daß ihre Ausfuͤhrung meine Forderun-<lb/>
gen an die Kunſt nie befriedigte. Die Sprache<lb/>ſtoͤrte mich nicht, aber die Leere der Gedanken und<lb/>
der Handlung druͤckte mich. Muͤhſelig fand ich<lb/>
hier und da <hirendition="#g">eine Stelle</hi>, nirgends poetiſchen<lb/>
Schwung, der uns in Frankreichs Dichtern der<lb/>
tragiſchen Buͤhne feſſelt, wenn das Dialog uns<lb/>
auch kalt laͤßt. Da ich nur das Vorzuͤglichſte,<lb/>
was man mir empfahl, leſen konnte, und gar<lb/>
nicht Zeit hatte, noch Gelegenheit dieſen Zweig<lb/>
der Dichtkunſt zu erſchoͤpfen, iſt das eben Geſagte<lb/>
nur meine Anſicht, nach der Ihr kein Urtheil bil-<lb/>
den ſollt. Von der einen Seite ſollten die Dichter<lb/>
dieſes Landes ſich uͤber die Mittelmaͤßigkeit auf-<lb/>ſchwingen koͤnnen. Das Studium und die Spra-<lb/>
che der Alten bildete ſie, und ihres Landes Ge-<lb/>ſchichte kann ſie begeiſtern, aber die Feſſeln, die<lb/>ſie freiwillig von ihren Nachbarn borgen, von ei-<lb/>
nem Volke, deſſen Bildungsgeſchichte, Sitten,<lb/>
Charakter, Geſchichte, ihnen ſo fremd, ſo wider-<lb/>ſtrebend iſt, koͤnnen ihre gluͤcklichen Anlagen viel-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[211/0225]
Hollands Geſchichte! — Ich las mit dem waͤrm-
ſten Antheil an dem Gegenſtande verſchiedne va-
terlaͤndiſche Stuͤcke, ich ließ mir, wo nur eine Ge-
legenheit ſich darbot, von ihnen erzaͤhlen, aber ich
geſtehe, daß ihre Ausfuͤhrung meine Forderun-
gen an die Kunſt nie befriedigte. Die Sprache
ſtoͤrte mich nicht, aber die Leere der Gedanken und
der Handlung druͤckte mich. Muͤhſelig fand ich
hier und da eine Stelle, nirgends poetiſchen
Schwung, der uns in Frankreichs Dichtern der
tragiſchen Buͤhne feſſelt, wenn das Dialog uns
auch kalt laͤßt. Da ich nur das Vorzuͤglichſte,
was man mir empfahl, leſen konnte, und gar
nicht Zeit hatte, noch Gelegenheit dieſen Zweig
der Dichtkunſt zu erſchoͤpfen, iſt das eben Geſagte
nur meine Anſicht, nach der Ihr kein Urtheil bil-
den ſollt. Von der einen Seite ſollten die Dichter
dieſes Landes ſich uͤber die Mittelmaͤßigkeit auf-
ſchwingen koͤnnen. Das Studium und die Spra-
che der Alten bildete ſie, und ihres Landes Ge-
ſchichte kann ſie begeiſtern, aber die Feſſeln, die
ſie freiwillig von ihren Nachbarn borgen, von ei-
nem Volke, deſſen Bildungsgeſchichte, Sitten,
Charakter, Geſchichte, ihnen ſo fremd, ſo wider-
ſtrebend iſt, koͤnnen ihre gluͤcklichen Anlagen viel-
O 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/225>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.