staucht -- den ersten Tag machte mich das Ge- fühl meiner Hinkigkeit und der Anblick so vieler fremden Hinkigkeiten ganz verwirrt, so daß ich durchaus einen mystischen Zusammenhang darin- nen ahndete. Die Rhachitis, englische Krankheit, oder doppelten Glieder, wie man an einigen Or- ten in Deutschland sagt, soll hier unter den Volks- klassen sehr gemein seyn, welches mich in einer so feucht gelegenen Stadt nicht wundert, besonders wenn noch einige alte Vorurtheile bei der Nah- rung und ersten Behandlung der Kinder hinzukom- men. Die vielen Hinkenden mögen also wohl aus dieser Kindheitsepoche herrühren. Die Frauen- zimmer, die ich auf der Straße sah, und die nicht in der Volkstracht gingen, waren alle ohne Ge- schmack gekleidet, Gang und Haltung ohne allen Liebreiz, die Ellenbogen hinten hinaus, und den Hals vorwärts; -- aber viel regelmäßige Gesich- ter, und lauter Lilien und Rosen. Zur Erquickung aller Schminke hassenden Seelen, steht hier der Ge- brauch, Roth aufzulegen, in der größten Verab- scheuung. Es ist drollich, mit welcher Sträflich- keit Leute diese Täuschung verwerfen, die Schnür- leib, Haarpuder und aufgepuffte Halstücher ohne alles Bedenken annehmen. Lügen diese Behelfsel
ſtaucht — den erſten Tag machte mich das Ge- fuͤhl meiner Hinkigkeit und der Anblick ſo vieler fremden Hinkigkeiten ganz verwirrt, ſo daß ich durchaus einen myſtiſchen Zuſammenhang darin- nen ahndete. Die Rhachitis, engliſche Krankheit, oder doppelten Glieder, wie man an einigen Or- ten in Deutſchland ſagt, ſoll hier unter den Volks- klaſſen ſehr gemein ſeyn, welches mich in einer ſo feucht gelegenen Stadt nicht wundert, beſonders wenn noch einige alte Vorurtheile bei der Nah- rung und erſten Behandlung der Kinder hinzukom- men. Die vielen Hinkenden moͤgen alſo wohl aus dieſer Kindheitsepoche herruͤhren. Die Frauen- zimmer, die ich auf der Straße ſah, und die nicht in der Volkstracht gingen, waren alle ohne Ge- ſchmack gekleidet, Gang und Haltung ohne allen Liebreiz, die Ellenbogen hinten hinaus, und den Hals vorwaͤrts; — aber viel regelmaͤßige Geſich- ter, und lauter Lilien und Roſen. Zur Erquickung aller Schminke haſſenden Seelen, ſteht hier der Ge- brauch, Roth aufzulegen, in der groͤßten Verab- ſcheuung. Es iſt drollich, mit welcher Straͤflich- keit Leute dieſe Taͤuſchung verwerfen, die Schnuͤr- leib, Haarpuder und aufgepuffte Halstuͤcher ohne alles Bedenken annehmen. Luͤgen dieſe Behelfſel
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ſtaucht — den erſten Tag machte mich das Ge-
fuͤhl meiner Hinkigkeit und der Anblick ſo vieler
fremden Hinkigkeiten ganz verwirrt, ſo daß ich
durchaus einen myſtiſchen Zuſammenhang darin-
nen ahndete. Die Rhachitis, engliſche Krankheit,
oder doppelten Glieder, wie man an einigen Or-
ten in Deutſchland ſagt, ſoll hier unter den Volks-
klaſſen ſehr gemein ſeyn, welches mich in einer ſo
feucht gelegenen Stadt nicht wundert, beſonders
wenn noch einige alte Vorurtheile bei der Nah-
rung und erſten Behandlung der Kinder hinzukom-
men. Die vielen Hinkenden moͤgen alſo wohl aus
dieſer Kindheitsepoche herruͤhren. Die Frauen-
zimmer, die ich auf der Straße ſah, und die nicht
in der Volkstracht gingen, waren alle ohne Ge-
ſchmack gekleidet, Gang und Haltung ohne allen
Liebreiz, die Ellenbogen hinten hinaus, und den
Hals vorwaͤrts; — aber viel regelmaͤßige Geſich-
ter, und lauter Lilien und Roſen. Zur Erquickung
aller Schminke haſſenden Seelen, ſteht hier der Ge-
brauch, Roth aufzulegen, in der groͤßten Verab-
ſcheuung. Es iſt drollich, mit welcher Straͤflich-
keit Leute dieſe Taͤuſchung verwerfen, die Schnuͤr-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/240>, abgerufen am 22.12.2024.
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