scholl das Gebrüll des Meers zu uns her, und die Ferne sah aus wie ein Eismeer -- ich kann keinen lebendigern Vergleich finden, als die Eismeere der Alpengebürge. Die Bewegung der Wogen ent- geht von Weitem dem Auge, es erblickt nur den weißen Schaum, der jetzt in der Sonne glänzte, und die schwarzen Gewässer, die wie tiefe Spal- ten dazwischen gelagert sind. Dort begrenzen aber himmelansteigende Gebirge den Horizont, hier ruht der Himmel allein auf dem starren Erdball. Nichts trostloser unfruchtbarers kann sich die Ein- bildungskraft erdenken, wie die Seeseite der Dü- nen! der niedrigere Theil besteht aus ganz dürren grauem Sande, der aus sehr harten, groben Kör- nern, ohne Beimischung von Kieseln, aufge- schwemmt ist. Höher hinauf ist ein dürres gro- bes Gras in kleinen Büscheln angesäet, das die- sem todten Sande die ersten Pflanzentheile beimi- schen soll. Es scheint gar nicht abgeschnitten zu werden, denn seine langen, steifen, ärmlichen Hal- me waren von keiner Sichel berührt, vom Sturme auf den dürren Boden niedergeworfen worden. Auf dem Rücken der Dünen wird das Gras etwas häufiger, hie und da bedeckt es beinahe den Bo- den. Mitten in dieser Einöde steht ein Telegraph
ſcholl das Gebruͤll des Meers zu uns her, und die Ferne ſah aus wie ein Eismeer — ich kann keinen lebendigern Vergleich finden, als die Eismeere der Alpengebuͤrge. Die Bewegung der Wogen ent- geht von Weitem dem Auge, es erblickt nur den weißen Schaum, der jetzt in der Sonne glaͤnzte, und die ſchwarzen Gewaͤſſer, die wie tiefe Spal- ten dazwiſchen gelagert ſind. Dort begrenzen aber himmelanſteigende Gebirge den Horizont, hier ruht der Himmel allein auf dem ſtarren Erdball. Nichts troſtloſer unfruchtbarers kann ſich die Ein- bildungskraft erdenken, wie die Seeſeite der Duͤ- nen! der niedrigere Theil beſteht aus ganz duͤrren grauem Sande, der aus ſehr harten, groben Koͤr- nern, ohne Beimiſchung von Kieſeln, aufge- ſchwemmt iſt. Hoͤher hinauf iſt ein duͤrres gro- bes Gras in kleinen Buͤſcheln angeſaͤet, das die- ſem todten Sande die erſten Pflanzentheile beimi- ſchen ſoll. Es ſcheint gar nicht abgeſchnitten zu werden, denn ſeine langen, ſteifen, aͤrmlichen Hal- me waren von keiner Sichel beruͤhrt, vom Sturme auf den duͤrren Boden niedergeworfen worden. Auf dem Ruͤcken der Duͤnen wird das Gras etwas haͤufiger, hie und da bedeckt es beinahe den Bo- den. Mitten in dieſer Einoͤde ſteht ein Telegraph
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ſcholl das Gebruͤll des Meers zu uns her, und die
Ferne ſah aus wie ein Eismeer — ich kann keinen
lebendigern Vergleich finden, als die Eismeere der
Alpengebuͤrge. Die Bewegung der Wogen ent-
geht von Weitem dem Auge, es erblickt nur den
weißen Schaum, der jetzt in der Sonne glaͤnzte,
und die ſchwarzen Gewaͤſſer, die wie tiefe Spal-
ten dazwiſchen gelagert ſind. Dort begrenzen aber
himmelanſteigende Gebirge den Horizont, hier
ruht der Himmel allein auf dem ſtarren Erdball.
Nichts troſtloſer unfruchtbarers kann ſich die Ein-
bildungskraft erdenken, wie die Seeſeite der Duͤ-
nen! der niedrigere Theil beſteht aus ganz duͤrren
grauem Sande, der aus ſehr harten, groben Koͤr-
nern, ohne Beimiſchung von Kieſeln, aufge-
ſchwemmt iſt. Hoͤher hinauf iſt ein duͤrres gro-
bes Gras in kleinen Buͤſcheln angeſaͤet, das die-
ſem todten Sande die erſten Pflanzentheile beimi-
ſchen ſoll. Es ſcheint gar nicht abgeſchnitten zu
werden, denn ſeine langen, ſteifen, aͤrmlichen Hal-
me waren von keiner Sichel beruͤhrt, vom Sturme
auf den duͤrren Boden niedergeworfen worden.
Auf dem Ruͤcken der Duͤnen wird das Gras etwas
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/362>, abgerufen am 23.12.2024.
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