riger Sohn in einem solchen kurzen, weiten Rock -- ich weiß nicht, wie das Ding jetzt heißt, was einst Roquelaur, dann Surtout, Schanzelupe, Chenille -- ich weiß nicht, wie, hieß, und nun bei den fran- zösischen Soldaten wohl Wachtrock heißen könnte -- in so einem Rock neben mir her, ganz mit dem ka- rakteristischen Gang eines jungen Franzosen, und erzählte mir in der neuen Sprache von den Lustpar- thien, welche die Mainzer nach Ingelheim machen, um den Herbst zu genießen. O Zeiten! O Sitten!
Der Abend sank, wie wir nach Mainz hinein- fuhren. Die Festungswerke sind von dieser Seite her sehr ausgedehnt. Ich betrachtete die sonderba- ren Krümmungen des Wegs zwischen Schanzen, geraden Linien, Gräben und Pallisaden -- alles kommt mir wie Geheimnisse des Todes vor -- mit sehr ernstem Blick. -- Einst ging ich hier zwischen Gärten und Hecken umher; deine Kindergestalt, stille * *, schwebt noch vor meinem Blick.
Schon brauste der Sturm in dem nahen Frank- reich, schon standen seine Krieger auf deutschem Bo- den, und noch wandelte ich hier, nicht ahndend, nicht träumend, wie bald dieser ganze Schauplatz verwandelt seyn würde. Ich bleibe nur wenige Ta- ge in Mainz, dann eile ich an's jenseitige Ufer. Schutzgeister der Menschheit, ich vertraue euch die Lieben, die ich an diesem Ufer verlasse; geleitet mich freundlich zu denen, die mich jenseits er- warten! --
riger Sohn in einem ſolchen kurzen, weiten Rock — ich weiß nicht, wie das Ding jetzt heißt, was einſt Roquelaur, dann Surtout, Schanzelupe, Chenille — ich weiß nicht, wie, hieß, und nun bei den fran- zoͤſiſchen Soldaten wohl Wachtrock heißen koͤnnte — in ſo einem Rock neben mir her, ganz mit dem ka- rakteriſtiſchen Gang eines jungen Franzoſen, und erzaͤhlte mir in der neuen Sprache von den Luſtpar- thien, welche die Mainzer nach Ingelheim machen, um den Herbſt zu genießen. O Zeiten! O Sitten!
Der Abend ſank, wie wir nach Mainz hinein- fuhren. Die Feſtungswerke ſind von dieſer Seite her ſehr ausgedehnt. Ich betrachtete die ſonderba- ren Kruͤmmungen des Wegs zwiſchen Schanzen, geraden Linien, Graͤben und Palliſaden — alles kommt mir wie Geheimniſſe des Todes vor — mit ſehr ernſtem Blick. — Einſt ging ich hier zwiſchen Gaͤrten und Hecken umher; deine Kindergeſtalt, ſtille * *, ſchwebt noch vor meinem Blick.
Schon brauſte der Sturm in dem nahen Frank- reich, ſchon ſtanden ſeine Krieger auf deutſchem Bo- den, und noch wandelte ich hier, nicht ahndend, nicht traͤumend, wie bald dieſer ganze Schauplatz verwandelt ſeyn wuͤrde. Ich bleibe nur wenige Ta- ge in Mainz, dann eile ich an’s jenſeitige Ufer. Schutzgeiſter der Menſchheit, ich vertraue euch die Lieben, die ich an dieſem Ufer verlaſſe; geleitet mich freundlich zu denen, die mich jenſeits er- warten! —
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riger Sohn in einem ſolchen kurzen, weiten Rock —
ich weiß nicht, wie das Ding jetzt heißt, was einſt
Roquelaur, dann Surtout, Schanzelupe, Chenille
— ich weiß nicht, wie, hieß, und nun bei den fran-
zoͤſiſchen Soldaten wohl Wachtrock heißen koͤnnte —
in ſo einem Rock neben mir her, ganz mit dem ka-
rakteriſtiſchen Gang eines jungen Franzoſen, und
erzaͤhlte mir in der neuen Sprache von den Luſtpar-
thien, welche die Mainzer nach Ingelheim machen,
um den Herbſt zu genießen. O Zeiten! O Sitten!
Der Abend ſank, wie wir nach Mainz hinein-
fuhren. Die Feſtungswerke ſind von dieſer Seite
her ſehr ausgedehnt. Ich betrachtete die ſonderba-
ren Kruͤmmungen des Wegs zwiſchen Schanzen,
geraden Linien, Graͤben und Palliſaden — alles
kommt mir wie Geheimniſſe des Todes vor — mit
ſehr ernſtem Blick. — Einſt ging ich hier zwiſchen
Gaͤrten und Hecken umher; deine Kindergeſtalt, ſtille
* *, ſchwebt noch vor meinem Blick.
Schon brauſte der Sturm in dem nahen Frank-
reich, ſchon ſtanden ſeine Krieger auf deutſchem Bo-
den, und noch wandelte ich hier, nicht ahndend,
nicht traͤumend, wie bald dieſer ganze Schauplatz
verwandelt ſeyn wuͤrde. Ich bleibe nur wenige Ta-
ge in Mainz, dann eile ich an’s jenſeitige Ufer.
Schutzgeiſter der Menſchheit, ich vertraue euch
die Lieben, die ich an dieſem Ufer verlaſſe; geleitet
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/414>, abgerufen am 22.12.2024.
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