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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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Brandmarken mit gefährlich hochgelehrten dogmatischen terminis
technicis,
mit "Jsmen" aller Art gegen alle bei den amerikanischen
und englischen Erweckungen betheiligten Faktoren, Baptisten, Metho-
disten u. s. w., gehandhabt und der lutherischen Kirche ausschließlich
die Fähigkeit und Gnadengabe evangelisch berechtigter Erweckung
vindicirt wird, ohne auch nur einen Gedanken an die Frage: was
soll aber aus den Tausenden und Zehntausenden von Seelen wer-
den, die nun einmal des Segens der Erweckung von dieser Seite
nicht theilhaftig geworden sind, noch werden können? -- Wer aber
irgend mit den historischen Thatsachen bekannt ist, der weiß, daß
sogar die Baptisten und noch weit mehr die Methodisten jedenfalls in
allen größeren Revivals ihre Hauptarbeit unter den Gestorbenen
oder unter den Todtgebornen aller Confessionen gehabt haben und
noch haben. Steht es in Deutschland besonders mit dem Baptisten-
skandal anders -- wessen Schuld ist es hauptsächlich? Es ist wahr-
lich doch zu stark, wenn man von dieser Seite glaubt, in solcher
Weise z. B. über die Arbeit eines Cartwright in den amerika-
nischen Hinterwäldern und unter Zehntausenden völlig verwahr-
loster hirtenloser Schafe, unter Entbehrungen aller Art auf Reisen
von vielen Tausend Meilen während eines halben Jahrhunderts,
den Stab brechen zu dürfen! --

So dürfte denn bei der mir von Jhnen, geehrtester Freund,
zugewiesenen praktischen Aufgabe der geeignetste nächste Schritt der
sein: zu versuchen, ob es mir gelingt, die Vorurtheile zu beseitigen,
welche durch die deutsche Kritik verbreitet, eine allgemeinere richtige
und fruchtbare Beschäftigung mit den Thaten des britischen Revivals
und damit der Nutzanwendung zu einer deutschen Erweckung in den
Weg gelegt sind. Dies fordert aber, abgesehen von wirklich irrigen
oder übertriebenen Vorstellungen, auch die Sache selbst in ihrer
wahren Gestalt, wie ich sie Jhnen nach bestem Wißen und Gewißen
gegeben. Jch meines Theils bin jedenfalls, wie schon gesagt, weit
entfernt, zu läugnen, daß nicht in dem Revival auch der unbe-
fangensten und zugänglichsten Kritik deutscher Wißenschaft und
deutschen Gemüths gegründeter Anlaß zu manchen Bedenken gegeben
ist. Aber welche irgend bedeutende, kräftig fruchtbare Bewegung
im Leben der Völker oder auch nur der Jndividuen ist frei von
jedem Bedenken! Ließe sich nicht vielmehr das alte medizinische

Brandmarken mit gefährlich hochgelehrten dogmatiſchen terminis
technicis,
mit „Jsmen‟ aller Art gegen alle bei den amerikaniſchen
und engliſchen Erweckungen betheiligten Faktoren, Baptiſten, Metho-
diſten u. ſ. w., gehandhabt und der lutheriſchen Kirche ausſchließlich
die Fähigkeit und Gnadengabe evangeliſch berechtigter Erweckung
vindicirt wird, ohne auch nur einen Gedanken an die Frage: was
ſoll aber aus den Tauſenden und Zehntauſenden von Seelen wer-
den, die nun einmal des Segens der Erweckung von dieſer Seite
nicht theilhaftig geworden ſind, noch werden können? — Wer aber
irgend mit den hiſtoriſchen Thatſachen bekannt iſt, der weiß, daß
ſogar die Baptiſten und noch weit mehr die Methodiſten jedenfalls in
allen größeren Revivals ihre Hauptarbeit unter den Geſtorbenen
oder unter den Todtgebornen aller Confeſſionen gehabt haben und
noch haben. Steht es in Deutſchland beſonders mit dem Baptiſten-
ſkandal anders — weſſen Schuld iſt es hauptſächlich? Es iſt wahr-
lich doch zu ſtark, wenn man von dieſer Seite glaubt, in ſolcher
Weiſe z. B. über die Arbeit eines Cartwright in den amerika-
niſchen Hinterwäldern und unter Zehntauſenden völlig verwahr-
loſter hirtenloſer Schafe, unter Entbehrungen aller Art auf Reiſen
von vielen Tauſend Meilen während eines halben Jahrhunderts,
den Stab brechen zu dürfen! —

So dürfte denn bei der mir von Jhnen, geehrteſter Freund,
zugewieſenen praktiſchen Aufgabe der geeignetſte nächſte Schritt der
ſein: zu verſuchen, ob es mir gelingt, die Vorurtheile zu beſeitigen,
welche durch die deutſche Kritik verbreitet, eine allgemeinere richtige
und fruchtbare Beſchäftigung mit den Thaten des britiſchen Revivals
und damit der Nutzanwendung zu einer deutſchen Erweckung in den
Weg gelegt ſind. Dies fordert aber, abgeſehen von wirklich irrigen
oder übertriebenen Vorſtellungen, auch die Sache ſelbſt in ihrer
wahren Geſtalt, wie ich ſie Jhnen nach beſtem Wißen und Gewißen
gegeben. Jch meines Theils bin jedenfalls, wie ſchon geſagt, weit
entfernt, zu läugnen, daß nicht in dem Revival auch der unbe-
fangenſten und zugänglichſten Kritik deutſcher Wißenſchaft und
deutſchen Gemüths gegründeter Anlaß zu manchen Bedenken gegeben
iſt. Aber welche irgend bedeutende, kräftig fruchtbare Bewegung
im Leben der Völker oder auch nur der Jndividuen iſt frei von
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[40/0046] Brandmarken mit gefährlich hochgelehrten dogmatiſchen terminis technicis, mit „Jsmen‟ aller Art gegen alle bei den amerikaniſchen und engliſchen Erweckungen betheiligten Faktoren, Baptiſten, Metho- diſten u. ſ. w., gehandhabt und der lutheriſchen Kirche ausſchließlich die Fähigkeit und Gnadengabe evangeliſch berechtigter Erweckung vindicirt wird, ohne auch nur einen Gedanken an die Frage: was ſoll aber aus den Tauſenden und Zehntauſenden von Seelen wer- den, die nun einmal des Segens der Erweckung von dieſer Seite nicht theilhaftig geworden ſind, noch werden können? — Wer aber irgend mit den hiſtoriſchen Thatſachen bekannt iſt, der weiß, daß ſogar die Baptiſten und noch weit mehr die Methodiſten jedenfalls in allen größeren Revivals ihre Hauptarbeit unter den Geſtorbenen oder unter den Todtgebornen aller Confeſſionen gehabt haben und noch haben. Steht es in Deutſchland beſonders mit dem Baptiſten- ſkandal anders — weſſen Schuld iſt es hauptſächlich? Es iſt wahr- lich doch zu ſtark, wenn man von dieſer Seite glaubt, in ſolcher Weiſe z. B. über die Arbeit eines Cartwright in den amerika- niſchen Hinterwäldern und unter Zehntauſenden völlig verwahr- loſter hirtenloſer Schafe, unter Entbehrungen aller Art auf Reiſen von vielen Tauſend Meilen während eines halben Jahrhunderts, den Stab brechen zu dürfen! — So dürfte denn bei der mir von Jhnen, geehrteſter Freund, zugewieſenen praktiſchen Aufgabe der geeignetſte nächſte Schritt der ſein: zu verſuchen, ob es mir gelingt, die Vorurtheile zu beſeitigen, welche durch die deutſche Kritik verbreitet, eine allgemeinere richtige und fruchtbare Beſchäftigung mit den Thaten des britiſchen Revivals und damit der Nutzanwendung zu einer deutſchen Erweckung in den Weg gelegt ſind. Dies fordert aber, abgeſehen von wirklich irrigen oder übertriebenen Vorſtellungen, auch die Sache ſelbſt in ihrer wahren Geſtalt, wie ich ſie Jhnen nach beſtem Wißen und Gewißen gegeben. Jch meines Theils bin jedenfalls, wie ſchon geſagt, weit entfernt, zu läugnen, daß nicht in dem Revival auch der unbe- fangenſten und zugänglichſten Kritik deutſcher Wißenſchaft und deutſchen Gemüths gegründeter Anlaß zu manchen Bedenken gegeben iſt. Aber welche irgend bedeutende, kräftig fruchtbare Bewegung im Leben der Völker oder auch nur der Jndividuen iſt frei von jedem Bedenken! Ließe ſich nicht vielmehr das alte mediziniſche

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/46>, abgerufen am 21.11.2024.