Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

aber läugnen, daß es gerade der lutherischen Kirche ganz an leichten
Truppen fehlt? Der römischen Kirche hat es daran nie gefehlt
und wenn sie dieselben zu verschiedenen Zeiten in ihren geistlichen
Orden der strengsten Disciplin zu unterwerfen verstand, so ist doch
wahrlich deren Wirksamkeit dadurch nicht geschwächt worden. Aber
auch die freiere Gestaltung in ihren Laienbrüderschaften fehlt ihr
nicht. Ueberhaupt möchte ich, geehrtester Freund, obgleich die römische
Kirche ausdrücklich von diesen Betrachtungen ausgeschloßen ist, dar-
auf hinweisen, daß dieselbe z. B. mit ihren "Missionen" jeden
Augenblick ein sehr wirksames Revival eröffnen kann und gelegent-
lich mit einiger Steigerung über ihr gewöhnliches Niveau auch sehr
ähnliche Erscheinungen und Resultate erlangt hat. Was England
betrifft, so hat das Dissenterwesen in gewißem Sinne der Landes-
kirche thatsächlich die Mühe einer solchen Organisation erspart und
freilich sie auch gänzlich ihrer Controle entzogen! Der Methodis-
mus zumal war auf dem besten Wege, der Kirche die besten leichten
Truppen zu liefern, die sie wünschen konnte und wenn er sich dann
später emancipirte und den Kampf auf eigene Hand fortsetzte, so
lag die Schuld mindestens sehr gleichmäßig auf beiden Seiten.
Seitdem bot nun wieder die sogenannte "evangelische" Richtung
eine Möglichkeit der Befriedigung desselben Bedürfnisses, die nament-
lich eben in der Betheiligung an der home mission, am Revival u. s. w.
sich einigermaßen verwirklicht hat -- freilich in einer individuellen
Willkür und Promiscuität, die ohne Zweifel eine große Schwäche
des kirchlichen Organismus beweist. Auch die hochkirchlichen Elemente
haben (wie schon bemerkt) in der mehr kirchlichen Form von
Bruder- und Schwesterschaften wenigstens einen Anfang in diesem
Sinne gemacht. Und der lutherischen Kirche sollte Aehnliches ab-
solut unmöglich sein?! Damit wäre ihr überhaupt die Möglichkeit
abgesprochen, in den Kämpfen der Zeit auch nur ihren bisherigen
Bestand zu bewahren; denn eine Festung, deren Besatzung sich nicht
über das Glacis hinauswagen kann, ist verloren. So sei uns denn,
geehrtester Freund, vergönnt, so lange es irgend möglich, die Vor-
aussetzung festzuhalten, daß nicht die unabänderlichen Ordnungen
unserer Kirche, nicht ihre beßere Praxis jener Entwickelung ihrer
Streit- und Arbeitskräfte im Wege steht, sondern nur ihre leidige
Routine. Laßen Sie uns weiter an der Hoffnung festhalten, daß

aber läugnen, daß es gerade der lutheriſchen Kirche ganz an leichten
Truppen fehlt? Der römiſchen Kirche hat es daran nie gefehlt
und wenn ſie dieſelben zu verſchiedenen Zeiten in ihren geiſtlichen
Orden der ſtrengſten Disciplin zu unterwerfen verſtand, ſo iſt doch
wahrlich deren Wirkſamkeit dadurch nicht geſchwächt worden. Aber
auch die freiere Geſtaltung in ihren Laienbrüderſchaften fehlt ihr
nicht. Ueberhaupt möchte ich, geehrteſter Freund, obgleich die römiſche
Kirche ausdrücklich von dieſen Betrachtungen ausgeſchloßen iſt, dar-
auf hinweiſen, daß dieſelbe z. B. mit ihren „Miſſionen‟ jeden
Augenblick ein ſehr wirkſames Revival eröffnen kann und gelegent-
lich mit einiger Steigerung über ihr gewöhnliches Niveau auch ſehr
ähnliche Erſcheinungen und Reſultate erlangt hat. Was England
betrifft, ſo hat das Diſſenterweſen in gewißem Sinne der Landes-
kirche thatſächlich die Mühe einer ſolchen Organiſation erſpart und
freilich ſie auch gänzlich ihrer Controle entzogen! Der Methodis-
mus zumal war auf dem beſten Wege, der Kirche die beſten leichten
Truppen zu liefern, die ſie wünſchen konnte und wenn er ſich dann
ſpäter emancipirte und den Kampf auf eigene Hand fortſetzte, ſo
lag die Schuld mindeſtens ſehr gleichmäßig auf beiden Seiten.
Seitdem bot nun wieder die ſogenannte „evangeliſche‟ Richtung
eine Möglichkeit der Befriedigung desſelben Bedürfniſſes, die nament-
lich eben in der Betheiligung an der home mission, am Revival u. ſ. w.
ſich einigermaßen verwirklicht hat — freilich in einer individuellen
Willkür und Promiscuität, die ohne Zweifel eine große Schwäche
des kirchlichen Organismus beweiſt. Auch die hochkirchlichen Elemente
haben (wie ſchon bemerkt) in der mehr kirchlichen Form von
Bruder- und Schweſterſchaften wenigſtens einen Anfang in dieſem
Sinne gemacht. Und der lutheriſchen Kirche ſollte Aehnliches ab-
ſolut unmöglich ſein?! Damit wäre ihr überhaupt die Möglichkeit
abgeſprochen, in den Kämpfen der Zeit auch nur ihren bisherigen
Beſtand zu bewahren; denn eine Feſtung, deren Beſatzung ſich nicht
über das Glacis hinauswagen kann, iſt verloren. So ſei uns denn,
geehrteſter Freund, vergönnt, ſo lange es irgend möglich, die Vor-
ausſetzung feſtzuhalten, daß nicht die unabänderlichen Ordnungen
unſerer Kirche, nicht ihre beßere Praxis jener Entwickelung ihrer
Streit- und Arbeitskräfte im Wege ſteht, ſondern nur ihre leidige
Routine. Laßen Sie uns weiter an der Hoffnung feſthalten, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="72"/>
aber läugnen, daß es gerade der lutheri&#x017F;chen Kirche ganz an leichten<lb/>
Truppen fehlt? Der römi&#x017F;chen Kirche hat es daran nie gefehlt<lb/>
und wenn &#x017F;ie die&#x017F;elben zu ver&#x017F;chiedenen Zeiten in ihren gei&#x017F;tlichen<lb/>
Orden der &#x017F;treng&#x017F;ten Disciplin zu unterwerfen ver&#x017F;tand, &#x017F;o i&#x017F;t doch<lb/>
wahrlich deren Wirk&#x017F;amkeit dadurch nicht ge&#x017F;chwächt worden. Aber<lb/>
auch die freiere Ge&#x017F;taltung in ihren Laienbrüder&#x017F;chaften fehlt ihr<lb/>
nicht. Ueberhaupt möchte ich, geehrte&#x017F;ter Freund, obgleich die römi&#x017F;che<lb/>
Kirche ausdrücklich von die&#x017F;en Betrachtungen ausge&#x017F;chloßen i&#x017F;t, dar-<lb/>
auf hinwei&#x017F;en, daß die&#x017F;elbe z. B. mit ihren &#x201E;<hi rendition="#g">Mi&#x017F;&#x017F;ionen</hi>&#x201F; jeden<lb/>
Augenblick ein &#x017F;ehr wirk&#x017F;ames Revival eröffnen kann und gelegent-<lb/>
lich mit einiger Steigerung über ihr gewöhnliches Niveau auch &#x017F;ehr<lb/>
ähnliche Er&#x017F;cheinungen und Re&#x017F;ultate erlangt hat. Was England<lb/>
betrifft, &#x017F;o hat das Di&#x017F;&#x017F;enterwe&#x017F;en in gewißem Sinne der Landes-<lb/>
kirche that&#x017F;ächlich die Mühe einer &#x017F;olchen Organi&#x017F;ation er&#x017F;part und<lb/>
freilich &#x017F;ie auch gänzlich ihrer Controle entzogen! Der Methodis-<lb/>
mus zumal war auf dem be&#x017F;ten Wege, der Kirche die be&#x017F;ten leichten<lb/>
Truppen zu liefern, die &#x017F;ie wün&#x017F;chen konnte und wenn er &#x017F;ich dann<lb/>
&#x017F;päter emancipirte und den Kampf auf eigene Hand fort&#x017F;etzte, &#x017F;o<lb/>
lag die Schuld minde&#x017F;tens &#x017F;ehr gleichmäßig auf beiden Seiten.<lb/>
Seitdem bot nun wieder die &#x017F;ogenannte &#x201E;<hi rendition="#g">evangeli&#x017F;che</hi>&#x201F; Richtung<lb/>
eine Möglichkeit der Befriedigung des&#x017F;elben Bedürfni&#x017F;&#x017F;es, die nament-<lb/>
lich eben in der Betheiligung an der <hi rendition="#aq">home mission,</hi> am Revival u. &#x017F;. w.<lb/>
&#x017F;ich einigermaßen verwirklicht hat &#x2014; freilich in einer individuellen<lb/>
Willkür und Promiscuität, die ohne Zweifel eine große Schwäche<lb/>
des kirchlichen Organismus bewei&#x017F;t. Auch die hochkirchlichen Elemente<lb/>
haben (wie &#x017F;chon bemerkt) in der mehr kirchlichen Form von<lb/>
Bruder- und Schwe&#x017F;ter&#x017F;chaften wenig&#x017F;tens einen Anfang in die&#x017F;em<lb/>
Sinne gemacht. Und der lutheri&#x017F;chen Kirche &#x017F;ollte Aehnliches ab-<lb/>
&#x017F;olut unmöglich &#x017F;ein?! Damit wäre ihr überhaupt die Möglichkeit<lb/>
abge&#x017F;prochen, in den Kämpfen der Zeit auch nur ihren bisherigen<lb/>
Be&#x017F;tand zu bewahren; denn eine Fe&#x017F;tung, deren Be&#x017F;atzung &#x017F;ich nicht<lb/>
über das Glacis hinauswagen kann, i&#x017F;t verloren. So &#x017F;ei uns denn,<lb/>
geehrte&#x017F;ter Freund, vergönnt, &#x017F;o lange es irgend möglich, die Vor-<lb/>
aus&#x017F;etzung fe&#x017F;tzuhalten, daß nicht die unabänderlichen Ordnungen<lb/>
un&#x017F;erer Kirche, nicht ihre beßere Praxis jener Entwickelung ihrer<lb/>
Streit- und Arbeitskräfte im Wege &#x017F;teht, &#x017F;ondern nur ihre leidige<lb/>
Routine. Laßen Sie uns weiter an der Hoffnung fe&#x017F;thalten, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0078] aber läugnen, daß es gerade der lutheriſchen Kirche ganz an leichten Truppen fehlt? Der römiſchen Kirche hat es daran nie gefehlt und wenn ſie dieſelben zu verſchiedenen Zeiten in ihren geiſtlichen Orden der ſtrengſten Disciplin zu unterwerfen verſtand, ſo iſt doch wahrlich deren Wirkſamkeit dadurch nicht geſchwächt worden. Aber auch die freiere Geſtaltung in ihren Laienbrüderſchaften fehlt ihr nicht. Ueberhaupt möchte ich, geehrteſter Freund, obgleich die römiſche Kirche ausdrücklich von dieſen Betrachtungen ausgeſchloßen iſt, dar- auf hinweiſen, daß dieſelbe z. B. mit ihren „Miſſionen‟ jeden Augenblick ein ſehr wirkſames Revival eröffnen kann und gelegent- lich mit einiger Steigerung über ihr gewöhnliches Niveau auch ſehr ähnliche Erſcheinungen und Reſultate erlangt hat. Was England betrifft, ſo hat das Diſſenterweſen in gewißem Sinne der Landes- kirche thatſächlich die Mühe einer ſolchen Organiſation erſpart und freilich ſie auch gänzlich ihrer Controle entzogen! Der Methodis- mus zumal war auf dem beſten Wege, der Kirche die beſten leichten Truppen zu liefern, die ſie wünſchen konnte und wenn er ſich dann ſpäter emancipirte und den Kampf auf eigene Hand fortſetzte, ſo lag die Schuld mindeſtens ſehr gleichmäßig auf beiden Seiten. Seitdem bot nun wieder die ſogenannte „evangeliſche‟ Richtung eine Möglichkeit der Befriedigung desſelben Bedürfniſſes, die nament- lich eben in der Betheiligung an der home mission, am Revival u. ſ. w. ſich einigermaßen verwirklicht hat — freilich in einer individuellen Willkür und Promiscuität, die ohne Zweifel eine große Schwäche des kirchlichen Organismus beweiſt. Auch die hochkirchlichen Elemente haben (wie ſchon bemerkt) in der mehr kirchlichen Form von Bruder- und Schweſterſchaften wenigſtens einen Anfang in dieſem Sinne gemacht. Und der lutheriſchen Kirche ſollte Aehnliches ab- ſolut unmöglich ſein?! Damit wäre ihr überhaupt die Möglichkeit abgeſprochen, in den Kämpfen der Zeit auch nur ihren bisherigen Beſtand zu bewahren; denn eine Feſtung, deren Beſatzung ſich nicht über das Glacis hinauswagen kann, iſt verloren. So ſei uns denn, geehrteſter Freund, vergönnt, ſo lange es irgend möglich, die Vor- ausſetzung feſtzuhalten, daß nicht die unabänderlichen Ordnungen unſerer Kirche, nicht ihre beßere Praxis jener Entwickelung ihrer Streit- und Arbeitskräfte im Wege ſteht, ſondern nur ihre leidige Routine. Laßen Sie uns weiter an der Hoffnung feſthalten, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/78
Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/78>, abgerufen am 09.11.2024.