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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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eben durch eine organische Entwickelung aus den gegebenen Ord-
nungen und Organen sich diejenigen Erscheinungen des englischen
Revival großentheils werden vermeiden laßen, die dem würdigern
und berechtigten deutschen und lutherischen Geist und Gemüth wirk-
lich zum Aergerniß oder Schaden gereichen können, während wir
uns zugleich von einer gewißen Aengstlichkeit, Peinlichkeit und Be-
quemlichkeit, einer geradezu pedantischen oder weibischen und mit
der wahren evangelischen Freiheit nicht verträglichen Gebundenheit
emancipiren. Dabei ist aber noch ein Punkt zu berücksichtigen, worin
unsere Zustände sich günstiger erweisen als die englischen, obgleich
auch wieder gerade daraus viele Bedenken erhoben werden mögen.

Die zahlreichen Sektenbildungen in England -- oder brauchen
wir den euphemistischen Ausdruck der Denominationen -- ist ohne
Zweifel die Quelle vieler und mannigfacher Uebelstände auch auf
dem Gebiet des Revivals; aber dennoch ist kein Zweifel, daß sie
nicht nur eine unvermeidliche und jedenfalls subjektiv berechtigte
Folge des schmählichen Verfalls der Landeskirche in banausischer
oder aristokratischer Verweltlichung und formaler, wie dogmatischer
Erstarrung war, sondern es muß auch anerkannt werden, daß nur
dadurch das geistliche Salz wenigstens der Haupt- und Kernlehren
des Evangeliums und nicht ohne mannigfaltige Erweisungen und
Früchte des Heiligen Geistes in dem nationalen Leben weit und
breit gerade da lebendig erhalten wurde, wo die Kirche mit ihrem
dumm gewordenen Salze -- vor ihrem neuern großen Aufschwung
und Selbst revival jedenfalls -- nicht mehr hinreichte. Laßen wir
dahin gestellt, wieweit unsere Kirche es sich zum Verdienst, unsere
Nationalität es sich zum Ruhm anrechnen kann, daß bei uns die
Sektenbildung nur einen kaum merklichen Raum einnimmt. Der
tiefste Verfall der Kirche hat zwar einen unermeßlich großen that-
sächlichen Abfall herbeigeführt, wobei aber diese Elemente mit wenig
Ausnahmen nicht einmal so viel geistliches Leben und Bedürfniß
mitnehmen oder mitzunehmen fanden, wie eben zu einer Sekten-
bildung gehört. Wie dem auch sei, daß wir es nur mit -- je nach-
dem man den Begriff der Union auffaßt! -- zwei oder drei
wirklichen evangelischen Kirchen zu thun haben, würde ein deutsches
Revival gar sehr vereinfachen und erleichtern -- vorausgesetzt,
daß man sich wenigstens auf diesem Felde zu einer praktischen

eben durch eine organiſche Entwickelung aus den gegebenen Ord-
nungen und Organen ſich diejenigen Erſcheinungen des engliſchen
Revival großentheils werden vermeiden laßen, die dem würdigern
und berechtigten deutſchen und lutheriſchen Geiſt und Gemüth wirk-
lich zum Aergerniß oder Schaden gereichen können, während wir
uns zugleich von einer gewißen Aengſtlichkeit, Peinlichkeit und Be-
quemlichkeit, einer geradezu pedantiſchen oder weibiſchen und mit
der wahren evangeliſchen Freiheit nicht verträglichen Gebundenheit
emancipiren. Dabei iſt aber noch ein Punkt zu berückſichtigen, worin
unſere Zuſtände ſich günſtiger erweiſen als die engliſchen, obgleich
auch wieder gerade daraus viele Bedenken erhoben werden mögen.

Die zahlreichen Sektenbildungen in England — oder brauchen
wir den euphemiſtiſchen Ausdruck der Denominationen — iſt ohne
Zweifel die Quelle vieler und mannigfacher Uebelſtände auch auf
dem Gebiet des Revivals; aber dennoch iſt kein Zweifel, daß ſie
nicht nur eine unvermeidliche und jedenfalls ſubjektiv berechtigte
Folge des ſchmählichen Verfalls der Landeskirche in banauſiſcher
oder ariſtokratiſcher Verweltlichung und formaler, wie dogmatiſcher
Erſtarrung war, ſondern es muß auch anerkannt werden, daß nur
dadurch das geiſtliche Salz wenigſtens der Haupt- und Kernlehren
des Evangeliums und nicht ohne mannigfaltige Erweiſungen und
Früchte des Heiligen Geiſtes in dem nationalen Leben weit und
breit gerade da lebendig erhalten wurde, wo die Kirche mit ihrem
dumm gewordenen Salze — vor ihrem neuern großen Aufſchwung
und Selbſt revival jedenfalls — nicht mehr hinreichte. Laßen wir
dahin geſtellt, wieweit unſere Kirche es ſich zum Verdienſt, unſere
Nationalität es ſich zum Ruhm anrechnen kann, daß bei uns die
Sektenbildung nur einen kaum merklichen Raum einnimmt. Der
tiefſte Verfall der Kirche hat zwar einen unermeßlich großen that-
ſächlichen Abfall herbeigeführt, wobei aber dieſe Elemente mit wenig
Ausnahmen nicht einmal ſo viel geiſtliches Leben und Bedürfniß
mitnehmen oder mitzunehmen fanden, wie eben zu einer Sekten-
bildung gehört. Wie dem auch ſei, daß wir es nur mit — je nach-
dem man den Begriff der Union auffaßt! — zwei oder drei
wirklichen evangeliſchen Kirchen zu thun haben, würde ein deutſches
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[73/0079] eben durch eine organiſche Entwickelung aus den gegebenen Ord- nungen und Organen ſich diejenigen Erſcheinungen des engliſchen Revival großentheils werden vermeiden laßen, die dem würdigern und berechtigten deutſchen und lutheriſchen Geiſt und Gemüth wirk- lich zum Aergerniß oder Schaden gereichen können, während wir uns zugleich von einer gewißen Aengſtlichkeit, Peinlichkeit und Be- quemlichkeit, einer geradezu pedantiſchen oder weibiſchen und mit der wahren evangeliſchen Freiheit nicht verträglichen Gebundenheit emancipiren. Dabei iſt aber noch ein Punkt zu berückſichtigen, worin unſere Zuſtände ſich günſtiger erweiſen als die engliſchen, obgleich auch wieder gerade daraus viele Bedenken erhoben werden mögen. Die zahlreichen Sektenbildungen in England — oder brauchen wir den euphemiſtiſchen Ausdruck der Denominationen — iſt ohne Zweifel die Quelle vieler und mannigfacher Uebelſtände auch auf dem Gebiet des Revivals; aber dennoch iſt kein Zweifel, daß ſie nicht nur eine unvermeidliche und jedenfalls ſubjektiv berechtigte Folge des ſchmählichen Verfalls der Landeskirche in banauſiſcher oder ariſtokratiſcher Verweltlichung und formaler, wie dogmatiſcher Erſtarrung war, ſondern es muß auch anerkannt werden, daß nur dadurch das geiſtliche Salz wenigſtens der Haupt- und Kernlehren des Evangeliums und nicht ohne mannigfaltige Erweiſungen und Früchte des Heiligen Geiſtes in dem nationalen Leben weit und breit gerade da lebendig erhalten wurde, wo die Kirche mit ihrem dumm gewordenen Salze — vor ihrem neuern großen Aufſchwung und Selbſt revival jedenfalls — nicht mehr hinreichte. Laßen wir dahin geſtellt, wieweit unſere Kirche es ſich zum Verdienſt, unſere Nationalität es ſich zum Ruhm anrechnen kann, daß bei uns die Sektenbildung nur einen kaum merklichen Raum einnimmt. Der tiefſte Verfall der Kirche hat zwar einen unermeßlich großen that- ſächlichen Abfall herbeigeführt, wobei aber dieſe Elemente mit wenig Ausnahmen nicht einmal ſo viel geiſtliches Leben und Bedürfniß mitnehmen oder mitzunehmen fanden, wie eben zu einer Sekten- bildung gehört. Wie dem auch ſei, daß wir es nur mit — je nach- dem man den Begriff der Union auffaßt! — zwei oder drei wirklichen evangeliſchen Kirchen zu thun haben, würde ein deutſches Revival gar ſehr vereinfachen und erleichtern — vorausgeſetzt, daß man ſich wenigſtens auf dieſem Felde zu einer praktiſchen

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/79>, abgerufen am 24.11.2024.