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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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licher Thätigkeit bezweifeln. Jch gebe gern zu, daß der gegen-
wärtige Zustand der lutherischen Kirche -- der übrigens in gar
mancher Hinsicht, was man auch sagen mag, nicht schlimmer,
sondern relativ beßer ist, als in der vermeintlich guten alten Zeit
-- und noch viel mehr die durch falsche, wenn auch gutge-
meinte Unionsbestrebungen nach allen Seiten erzeugte Confusion und
Disunion jedes ersprießliche Vorgehen nach irgend einer Seite --
zumal gemeinsam und wirklich unionistische Lebensbewegung unendlich
erschwert; aber folgt daraus schon, daß Alles unterbleiben soll?
Welche andere als die verderblichsten Wirkungen, die Steigerung
aller Schäden und Nothstände sind von einem solchen weit über das
Maaß der durch äußere oder innere Bande bedingten Nothwendig-
keit gehenden gleichsam freiwilligen willkürlichen Starrkrampfe zu
erwarten! Laßen Sie uns vielmehr nicht vergeßen, daß die er-
sprießliche Uebung, Anstrengung und Verwendung der Kräfte, der
Organe, die noch nicht wirklich gelähmt sind und soweit sie es nicht
sind, das beste Mittel ist auch die schon gelähmten wieder zu stärken,
zu beleben, zu befreien. Um aber zu wißen, ob und wieweit man
noch gehen kann, muß man eben gehen! Bedarf es einer innern
Reform zu jeder kräftigen Aktive nach Außen, so wird auch durch
jede gesunde Kraftentwicklung nach Außen die innere Reform befördert.

Sie heben in Jhrem letzten Schreiben noch ein Bedenken her-
vor, was ich indeßen nur mit wenig Worten zu berühren brauche.
Allerdings nämlich dürfte die strickte bureaukratisch-polizeiliche Be-
vormundung die nun einmal eine -- bis auf einen gewißen Punkt
durch die Umstände und Verhältnisse unseres kirchlichen und poli-
tischen Lebens seit drei Jahrhunderten unabweislich motivirte
Bedingung jeder in die breitere Oeffentlichkeit der Massen ein-
tretenden Bewegung ist, auch an einer noch so sehr gemäßigten Er-
weckungsbewegung großen Anstoß nehmen und dieselbe auf den
möglichst geringsten Raum und die größtmögliche Stille zu beschränken
suchen. Und zwar würde dies ohne Zweifel auch bei an sich nicht
übelwollender Gesinnung geschehen, schon aus bloßem bureaukratisch-
polizeilichem Jnstinkt -- geschweige denn bei der unläugbaren (mit
wenig Ausnahmen) Antipathie der Bureaukratie gegen lebendiges,
positives Kirchen- und Christenthum. Es würde auch unter ander-
weitig günstigen, d. h. ruhigsten Verhältnissen geschehen -- geschweige

licher Thätigkeit bezweifeln. Jch gebe gern zu, daß der gegen-
wärtige Zuſtand der lutheriſchen Kirche — der übrigens in gar
mancher Hinſicht, was man auch ſagen mag, nicht ſchlimmer,
ſondern relativ beßer iſt, als in der vermeintlich guten alten Zeit
— und noch viel mehr die durch falſche, wenn auch gutge-
meinte Unionsbeſtrebungen nach allen Seiten erzeugte Confuſion und
Disunion jedes erſprießliche Vorgehen nach irgend einer Seite —
zumal gemeinſam und wirklich unioniſtiſche Lebensbewegung unendlich
erſchwert; aber folgt daraus ſchon, daß Alles unterbleiben ſoll?
Welche andere als die verderblichſten Wirkungen, die Steigerung
aller Schäden und Nothſtände ſind von einem ſolchen weit über das
Maaß der durch äußere oder innere Bande bedingten Nothwendig-
keit gehenden gleichſam freiwilligen willkürlichen Starrkrampfe zu
erwarten! Laßen Sie uns vielmehr nicht vergeßen, daß die er-
ſprießliche Uebung, Anſtrengung und Verwendung der Kräfte, der
Organe, die noch nicht wirklich gelähmt ſind und ſoweit ſie es nicht
ſind, das beſte Mittel iſt auch die ſchon gelähmten wieder zu ſtärken,
zu beleben, zu befreien. Um aber zu wißen, ob und wieweit man
noch gehen kann, muß man eben gehen! Bedarf es einer innern
Reform zu jeder kräftigen Aktive nach Außen, ſo wird auch durch
jede geſunde Kraftentwicklung nach Außen die innere Reform befördert.

Sie heben in Jhrem letzten Schreiben noch ein Bedenken her-
vor, was ich indeßen nur mit wenig Worten zu berühren brauche.
Allerdings nämlich dürfte die ſtrickte bureaukratiſch-polizeiliche Be-
vormundung die nun einmal eine — bis auf einen gewißen Punkt
durch die Umſtände und Verhältniſſe unſeres kirchlichen und poli-
tiſchen Lebens ſeit drei Jahrhunderten unabweislich motivirte
Bedingung jeder in die breitere Oeffentlichkeit der Maſſen ein-
tretenden Bewegung iſt, auch an einer noch ſo ſehr gemäßigten Er-
weckungsbewegung großen Anſtoß nehmen und dieſelbe auf den
möglichſt geringſten Raum und die größtmögliche Stille zu beſchränken
ſuchen. Und zwar würde dies ohne Zweifel auch bei an ſich nicht
übelwollender Geſinnung geſchehen, ſchon aus bloßem bureaukratiſch-
polizeilichem Jnſtinkt — geſchweige denn bei der unläugbaren (mit
wenig Ausnahmen) Antipathie der Bureaukratie gegen lebendiges,
poſitives Kirchen- und Chriſtenthum. Es würde auch unter ander-
weitig günſtigen, d. h. ruhigſten Verhältniſſen geſchehen — geſchweige

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[75/0081] licher Thätigkeit bezweifeln. Jch gebe gern zu, daß der gegen- wärtige Zuſtand der lutheriſchen Kirche — der übrigens in gar mancher Hinſicht, was man auch ſagen mag, nicht ſchlimmer, ſondern relativ beßer iſt, als in der vermeintlich guten alten Zeit — und noch viel mehr die durch falſche, wenn auch gutge- meinte Unionsbeſtrebungen nach allen Seiten erzeugte Confuſion und Disunion jedes erſprießliche Vorgehen nach irgend einer Seite — zumal gemeinſam und wirklich unioniſtiſche Lebensbewegung unendlich erſchwert; aber folgt daraus ſchon, daß Alles unterbleiben ſoll? Welche andere als die verderblichſten Wirkungen, die Steigerung aller Schäden und Nothſtände ſind von einem ſolchen weit über das Maaß der durch äußere oder innere Bande bedingten Nothwendig- keit gehenden gleichſam freiwilligen willkürlichen Starrkrampfe zu erwarten! Laßen Sie uns vielmehr nicht vergeßen, daß die er- ſprießliche Uebung, Anſtrengung und Verwendung der Kräfte, der Organe, die noch nicht wirklich gelähmt ſind und ſoweit ſie es nicht ſind, das beſte Mittel iſt auch die ſchon gelähmten wieder zu ſtärken, zu beleben, zu befreien. Um aber zu wißen, ob und wieweit man noch gehen kann, muß man eben gehen! Bedarf es einer innern Reform zu jeder kräftigen Aktive nach Außen, ſo wird auch durch jede geſunde Kraftentwicklung nach Außen die innere Reform befördert. Sie heben in Jhrem letzten Schreiben noch ein Bedenken her- vor, was ich indeßen nur mit wenig Worten zu berühren brauche. Allerdings nämlich dürfte die ſtrickte bureaukratiſch-polizeiliche Be- vormundung die nun einmal eine — bis auf einen gewißen Punkt durch die Umſtände und Verhältniſſe unſeres kirchlichen und poli- tiſchen Lebens ſeit drei Jahrhunderten unabweislich motivirte Bedingung jeder in die breitere Oeffentlichkeit der Maſſen ein- tretenden Bewegung iſt, auch an einer noch ſo ſehr gemäßigten Er- weckungsbewegung großen Anſtoß nehmen und dieſelbe auf den möglichſt geringſten Raum und die größtmögliche Stille zu beſchränken ſuchen. Und zwar würde dies ohne Zweifel auch bei an ſich nicht übelwollender Geſinnung geſchehen, ſchon aus bloßem bureaukratiſch- polizeilichem Jnſtinkt — geſchweige denn bei der unläugbaren (mit wenig Ausnahmen) Antipathie der Bureaukratie gegen lebendiges, poſitives Kirchen- und Chriſtenthum. Es würde auch unter ander- weitig günſtigen, d. h. ruhigſten Verhältniſſen geſchehen — geſchweige

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/81>, abgerufen am 24.11.2024.