Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

stände, die es geben kann), desto schwä-
chender und anstrengender ist es. Eine
halbe Stunde solcher Abstraction er-
schöpft mehr, als ein ganzer Tag Ueber-
setzungsarbeit. Aber auch hier ist viel
relatives. Mancher ist dazu geboren,
er hat die Kraft und die besondere Gei-
stesstimmung, die diese Arbeiten erfor-
dern, da hingegen manchem beydes
fehlt, und er es dennoch erzwingen
will. Es scheint mir sehr sonderbar,
dass man bey Hebung einer körperlichen
Last immer erst seine Kräfte untersucht,
ob sie nicht für dieselben zu schwehr ist,
und hingegen bey geistigen Lasten nicht
auch die Geisteskräfte zu Rathe zieht,
ob sie ihnen gewachsen sind. Wie man-
chen habe ich dadurch unglücklich und
kränklich werden sehen, dass er die Tie-
fen der Philosophie ergründen zu müssen
glaubte, ohne einen philosophischen
Kopf zu haben! Muss denn jeder
Mensch ein Philosoph von Profession
seyn, wie es jezt Mode zu werden

ſtände, die es geben kann), deſto ſchwä-
chender und anſtrengender iſt es. Eine
halbe Stunde ſolcher Abſtraction er-
ſchöpft mehr, als ein ganzer Tag Ueber-
ſetzungsarbeit. Aber auch hier iſt viel
relatives. Mancher iſt dazu geboren,
er hat die Kraft und die beſondere Gei-
ſtesſtimmung, die dieſe Arbeiten erfor-
dern, da hingegen manchem beydes
fehlt, und er es dennoch erzwingen
will. Es ſcheint mir ſehr ſonderbar,
daſs man bey Hebung einer körperlichen
Laſt immer erſt ſeine Kräfte unterſucht,
ob ſie nicht für dieſelben zu ſchwehr iſt,
und hingegen bey geiſtigen Laſten nicht
auch die Geiſteskräfte zu Rathe zieht,
ob ſie ihnen gewachſen ſind. Wie man-
chen habe ich dadurch unglücklich und
kränklich werden ſehen, daſs er die Tie-
fen der Philoſophie ergründen zu müſſen
glaubte, ohne einen philoſophiſchen
Kopf zu haben! Muſs denn jeder
Menſch ein Philoſoph von Profeſſion
ſeyn, wie es jezt Mode zu werden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0385" n="357"/>
&#x017F;tände, die es geben kann), de&#x017F;to &#x017F;chwä-<lb/>
chender und an&#x017F;trengender i&#x017F;t es. Eine<lb/>
halbe Stunde &#x017F;olcher Ab&#x017F;traction er-<lb/>
&#x017F;chöpft mehr, als ein ganzer Tag Ueber-<lb/>
&#x017F;etzungsarbeit. Aber auch hier i&#x017F;t viel<lb/>
relatives. Mancher i&#x017F;t dazu geboren,<lb/>
er hat die Kraft und die be&#x017F;ondere Gei-<lb/>
&#x017F;tes&#x017F;timmung, die die&#x017F;e Arbeiten erfor-<lb/>
dern, da hingegen manchem beydes<lb/>
fehlt, und er es dennoch erzwingen<lb/>
will. Es &#x017F;cheint mir &#x017F;ehr &#x017F;onderbar,<lb/>
da&#x017F;s man bey Hebung einer körperlichen<lb/>
La&#x017F;t immer er&#x017F;t &#x017F;eine Kräfte unter&#x017F;ucht,<lb/>
ob &#x017F;ie nicht für die&#x017F;elben zu &#x017F;chwehr i&#x017F;t,<lb/>
und hingegen bey gei&#x017F;tigen La&#x017F;ten nicht<lb/>
auch die Gei&#x017F;teskräfte zu Rathe zieht,<lb/>
ob &#x017F;ie ihnen gewach&#x017F;en &#x017F;ind. Wie man-<lb/>
chen habe ich dadurch unglücklich und<lb/>
kränklich werden &#x017F;ehen, da&#x017F;s er die Tie-<lb/>
fen der Philo&#x017F;ophie ergründen zu mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
glaubte, ohne einen philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
Kopf zu haben! Mu&#x017F;s denn jeder<lb/>
Men&#x017F;ch ein Philo&#x017F;oph von Profe&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
&#x017F;eyn, wie es jezt Mode zu werden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0385] ſtände, die es geben kann), deſto ſchwä- chender und anſtrengender iſt es. Eine halbe Stunde ſolcher Abſtraction er- ſchöpft mehr, als ein ganzer Tag Ueber- ſetzungsarbeit. Aber auch hier iſt viel relatives. Mancher iſt dazu geboren, er hat die Kraft und die beſondere Gei- ſtesſtimmung, die dieſe Arbeiten erfor- dern, da hingegen manchem beydes fehlt, und er es dennoch erzwingen will. Es ſcheint mir ſehr ſonderbar, daſs man bey Hebung einer körperlichen Laſt immer erſt ſeine Kräfte unterſucht, ob ſie nicht für dieſelben zu ſchwehr iſt, und hingegen bey geiſtigen Laſten nicht auch die Geiſteskräfte zu Rathe zieht, ob ſie ihnen gewachſen ſind. Wie man- chen habe ich dadurch unglücklich und kränklich werden ſehen, daſs er die Tie- fen der Philoſophie ergründen zu müſſen glaubte, ohne einen philoſophiſchen Kopf zu haben! Muſs denn jeder Menſch ein Philoſoph von Profeſſion ſeyn, wie es jezt Mode zu werden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/385
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/385>, abgerufen am 24.11.2024.