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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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Fussen der uns bekannten Rinde auf den Durchmesser der Erdmasse
1720 Meilen zu 23000' machen müssen!

Man glaubte früher, annehmen zu dürfen, daß Licht und Organismus in
der engsten Verbindung stehen, daß Licht zur Hervorbringung eines je-
den organischen Lebens erforderlich sei. Lavoisier erklärte daher durch
die Behauptung, daß Feuer die organischen Stoffe hervorrufe, auf eine
geistreiche Weise die alten scythischen Mythen und die Fabel vom
Prometheus. - So unläugbar nun aber der Einfluß des Sonnenlichts auf
die ganze Organisation ist, so hat man sich doch in der neusten Zeit
überzeugt, daß auch ohne Licht ein organisches Dasein statt finden kann:
ein Gegenstand, mit dem ich mich seit meiner frühesten Jugend beschäf-
tigt habe. - In den tiefsten Bergwerken, selbst in solchen, welche ohne
Zimmerung fortgeführt werden, finden wir unterirdische Pflanzen
vegetirend und grüne Keime, selbst phosphorescirend, in Luft-Arten, (Koh-
len- und Wasserstoff-Gas) die der Vegetation nicht günstig sind. Beim
Sprengen unterirdischer uneröffneter Höhlen, in die nie ein Lichtstrahl
gedrungen war, hat man die Stalaktiten undmit Usneen, einem
flechtenartigen Gebilde überzogen gefunden. - Auch in der Tiefe des
Meeres, wo fast ebenso vollkommen, als die Bergwerken, jeder Licht-
strahl ausgeschlossen ist, existiren grünende Vegetabilien. Jenseit der
canarischen Inseln holte ich aus der Tiefe des atlantischen Meeres
240' tief, h mit dem Senkblei einen vollkommen grünen F[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]eucus hervor,
dessen Blätter Aehnlichkeit mit dem Weinlaube haben. Diese Fucus-Arten,
welche in einer Tiefe von 6 bis 800' üppig vegetiren, dienen zur Bezeich-
nung der Richtung der Meere. Von ihrem Standort losgerissen, schwimmen
sie von einer Breite zur andern und bilden zusammengetrieben an der

Fussen der uns bekannten Rinde auf den Durchmesser der Erdmasse
1720 Meilen zu 23000′ machen müssen!

Man glaubte früher, annehmen zu dürfen, daß Licht und Organismus in
der engsten Verbindung stehen, daß Licht zur Hervorbringung eines je-
den organischen Lebens erforderlich sei. Lavoisier erklärte daher durch
die Behauptung, daß Feuer die organischen Stoffe hervorrufe, auf eine
geistreiche Weise die alten scythischen Mythen und die Fabel vom
Prometheus. – So unläugbar nun aber der Einfluß des Sonnenlichts auf
die ganze Organisation ist, so hat man sich doch in der neusten Zeit
überzeugt, daß auch ohne Licht ein organisches Dasein statt finden kañ:
ein Gegenstand, mit dem ich mich seit meiner frühesten Jugend beschäf-
tigt habe. – In den tiefsten Bergwerken, selbst in solchen, welche ohne
Zimmerung fortgeführt werden, finden wir unterirdische Pflanzen
vegetirend und grüne Keime, selbst phosphorescirend, in Luft-Arten, (Koh-
len- und Wasserstoff-Gas) die der Vegetation nicht günstig sind. Beim
Sprengen unterirdischer uneröffneter Höhlen, in die nie ein Lichtstrahl
gedrungen war, hat man die Stalaktiten undmit Usneen, einem
flechtenartigen Gebilde überzogen gefunden. – Auch in der Tiefe des
Meeres, wo fast ebenso vollkommen, als die Bergwerken, jeder Licht-
strahl ausgeschlossen ist, existiren grünende Vegetabilien. Jenseit der
canarischen Inseln holte ich aus der Tiefe des atlantischen Meeres
240′ tief, h mit dem Senkblei einen vollkom̃en grünen F[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]eucus hervor,
dessen Blätter Aehnlichkeit mit dem Weinlaube haben. Diese Fucus-Arten,
welche in einer Tiefe von 6 bis 800′ üppig vegetiren, dienen zur Bezeich-
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[22/0026] Fussen der uns bekannten Rinde auf den Durchmesser der Erdmasse 1720 Meilen zu 23000′ machen müssen! Man glaubte früher, annehmen zu dürfen, daß Licht u Organismus in der engsten Verbindung stehen, daß Licht zur Hervorbringung eines je- den organischen Lebens erforderlich sei. Lavoisier erklärte daher durch die Behauptung, daß Feuer die organischen Stoffe hervorrufe, auf eine geistreiche Weise die alten scythischen Mythen und die Fabel vom Prometheus. – So unläugbar nun aber der Einfluß des Sonnenlichts auf die ganze Organisation ist, so hat man sich doch in der neusten Zeit überzeugt, daß auch ohne Licht ein organisches Dasein statt finden kañ: ein Gegenstand, mit dem ich mich seit meiner frühesten Jugend beschäf- tigt habe. – In den tiefsten Bergwerken, selbst in solchen, welche ohne Zimmerung fortgeführt werden, finden wir unterirdische Pflanzen vegetirend u grüne Keime, selbst phosphorescirend, in LuftArten, /Koh- len- und WasserstoffGas/ die der Vegetation nicht günstig sind. Beim Sprengen unterirdischer uneröffneter Höhlen, in die nie ein Lichtstrahl gedrungen war, hat man die Stalaktiten mit Usneen, einem flechtenartigen Gebilde überzogen gefunden. – Auch in der Tiefe des Meeres, wo fast ebenso vollkommen, als die Bergwerken, jeder Licht- strahl ausgeschlossen ist, existiren grünende Vegetabilien. Jenseit der canarischen Inseln holte ich aus der Tiefe des atlantischen Meeres 240′ tief, mit dem Senkblei einen vollkom̃en grünen Fucus hervor, dessen Blätter Aehnlichkeit mit dem Weinlaube haben. Diese FucusArten, welche in einer Tiefe von 6 bis 800′ üppig vegetiren, dienen zur Bezeich- nung der Richtung der Meere. Von ihrem Standort losgerissen, schwimmen sie von einer Breite zur andern und bilden zusam̃engetrieben an der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/26>, abgerufen am 23.11.2024.