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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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dieser Begriff uns näher. Mit gewonnener geistiger Freiheit wird der Glaube an
die Einheit der Natur zur lebhaften Erkenntniß, zum klaren Begreifen.

Es ist viel und oft die Rede gewesen von sogenannten Urvölkern, man hat bald
die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, bald die Kelten, die Bewoh-
ner von Irak, endlich die Inder, während man nach allen Beobachtungen
annehmen kann, daß die Erkenntniß einer Natureinheit sich bei allen wil-
den Völkern gleichmässig entwickelt hat. Ueberhaupt ist wohl mit Recht die
Frage aufgeworfen worden, und der Zweifel entstanden, ob jene uns in
einem rohern Zustande erscheinenden Völker ursprünglich wilde zu nen-
nen sind? Ob man sie nicht vielleicht als Trümmer einer untergegange-
nen Cultur anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem schreck-
lichen Schiffbruch des menschlichen Geschlechts? - Geschichtlich läßt sich hierüber
nichts entdecken und wenn auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube
an eine primitive Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf
eine fast krankhafte Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die
Naturkenntnisse der Wilden zu überschätzen, so läßt sich andrerseits
nicht läugnen, daß auffallende Spuren vereinzelten Wissens unter
ihnen angetroffen werden. Es ist zwar natürlich, daß das einzig ge-
regelte, das diese Wilden um sich gesehen haben, auf sie gewirkt
haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nation
zur andern übergegangen zu sein und eine gewisse natürliche Astro-
nomie hat gar nichts wunderbares.

Auffallender ist es, wenn in den Nächten am Orinoco während meiner
astronomischen Beobachtungen die Äusserungen meiner indischen Beglei-
ter mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstim-
mende Benennungen der Constellationen, sondern auch anderweitige
Kenntnisse vom Lauf der Sterne sich bei solchen Völkern finden, die, in
ungeheuern Wäldern lebend, den Himmel fast nur wie durch eine
Esse, eine Röhre beobachten können, da man doch voraussetzen
mögte, daß jene Ideeenn nur auf den großen Savannen entstanden

dieser Begriff uns näher. Mit gewoñener geistiger Freiheit wird der Glaube an
die Einheit der Natur zur lebhaften Erkeñtniß, zum klaren Begreifen.

Es ist viel und oft die Rede gewesen von sogenañten Urvölkern, man hat bald
die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, bald die Kelten, die Bewoh-
ner von Irak, endlich die Inder, während man nach allen Beobachtungen
annehmen kann, daß die Erkeñtniß einer Natureinheit sich bei allen wil-
den Völkern gleichmässig entwickelt hat. Ueberhaupt ist wohl mit Recht die
Frage aufgeworfen worden, und der Zweifel entstanden, ob jene uns in
einem rohern Zustande erscheinenden Völker ursprünglich wilde zu nen-
nen sind? Ob man sie nicht vielleicht als Trüm̃er einer untergegange-
nen Cultur anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem schreck-
lichen Schiffbruch des menschlichen Geschlechts? – Geschichtlich läßt sich hierüber
nichts entdecken und weñ auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube
an eine primitive Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf
eine fast krankhafte Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die
Naturkeñtnisse der Wilden zu überschätzen, so läßt sich andrerseits
nicht läugnen, daß auffallende Spuren vereinzelten Wissens unter
ihnen angetroffen werden. Es ist zwar natürlich, daß das einzig ge-
regelte, das diese Wilden um sich gesehen haben, auf sie gewirkt
haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nation
zur andern übergegangen zu sein und eine gewisse natürliche Astro-
nomie hat gar nichts wunderbares.

Auffallender ist es, weñ in den Nächten am Orinoco während meiner
astronomischen Beobachtungen die Äusserungen meiner indischen Beglei-
ter mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstim-
mende Beneñungen der Constellationen, sondern auch anderweitige
Keñtnisse vom Lauf der Sterne sich bei solchen Völkern finden, die, in
ungeheuern Wäldern lebend, den Him̃el fast nur wie durch eine
Esse, eine Röhre beobachten können, da man doch voraussetzen
mögte, daß jene Ideeenn nur auf den großen Savannen entstanden

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[94/0098] dieser Begriff uns näher. Mit gewoñener geistiger Freiheit wird der Glaube an die Einheit der Natur zur lebhaften Erkeñtniß, zum klaren Begreifen. Es ist viel u oft die Rede gewesen von sogenañten Urvölkern, man hat bald die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, bald die Kelten, die Bewoh- ner von Irak, endlich die Inder, während man nach allen Beobachtungen annehmen kann, daß die Erkeñtniß einer Natureinheit sich bei allen wil- den Völkern gleichmässig entwickelt hat. Ueberhaupt ist wohl mit Recht die Frage aufgeworfen worden, u der Zweifel entstanden, ob jene uns in einem rohern Zustande erscheinenden Völker ursprünglich wilde zu nen- nen sind? Ob man sie nicht vielleicht als Trüm̃er einer untergegange- nen Cultur anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem schreck- lichen Schiffbruch des menschlichen Geschlechts? – Geschichtlich läßt sich hierüber nichts entdecken u weñ auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube an eine primitive Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf eine fast krankhafte Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die Naturkeñtnisse der Wilden zu überschätzen, so läßt sich andrerseits nicht läugnen, daß auffallende Spuren vereinzelten Wissens unter ihnen angetroffen werden. Es ist zwar natürlich, daß das einzig ge- regelte, das diese Wilden um sich gesehen haben, auf sie gewirkt haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nation zur andern übergegangen zu sein u eine gewisse natürliche Astro- nomie hat gar nichts wunderbares. Auffallender ist es, weñ in den Nächten am Orinoco während meiner astronomischen Beobachtungen die Äusserungen meiner indischen Beglei- ter mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstim- mende Beneñungen der Constellationen, sondern auch anderweitige Keñtnisse vom Lauf der Sterne sich bei solchen Völkern finden, die, in ungeheuern Wäldern lebend, den Him̃el fast nur wie durch eine Esse, eine Röhre beobachten können, da man doch voraussetzen mögte, daß jene Ideen nur auf den großen Savannen entstanden

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/98>, abgerufen am 24.11.2024.