Daher scheinen viele nur die Religion zu haben, auf feine oder grobe Weise jede Religion aus der Welt zu schaffen und damit auch jede Erziehung. Denn dringt nur etwas tiefer in diesen hochwichtigen Gegenstand ein. Was ist also die Erziehung? Die Entwicklung aller edlen Anlagen des Menschen und damit die Befriedigung seiner rechtmäßigen Bedürfnisse. Was ist nun die vorzüglichste Anlage des Menschen und sein tiefstes Bedürfniß? Reli- gion und Gottesverehrung und noch einmal Gottesvereh- rung und Religion. Tertullian aus alter Zeit lehrt diese Allen so leicht erkennbare und doch so tiefe Wahrheit. Er frägt nämlich eine Seele, die nicht in Schulen gebildet, nicht in Büchern bewandert, er frägt die ungebildete, unwissende Seele jener Leute, die von der Gasse, von den Straßenecken, aus der Werkstatt herkommen, er frägt sie über Gott. Nachdem diese ungebildete Seele ihm geantwortet, ruft er aus: "O menschliche Seele, von Natur aus christlich!"
Was will er hiermit sagen? Tritt sie etwa rein ins Dasein? Nein. Bringt sie einen angebornen Reichthum voll Kenntniß zur Welt? Nein. Aber diese Seele hat ein natürliches Bedürfnis nach Gott, ihn zu erkennen, ihn zu lieben, ihn zu besitzen; diese Seele findet ihre Freude im fleischgewordenen Worte, diese kindliche Seele frohlockt im Glauben, daß Gott selbst ein Kind geworden. Die Seele ist von Natur aus christlich; Gott hat sie für Christus erschaffen und wie sie nur im Namen Jesu selig werden kann, so findet sie ihre Ruhe, ihren Frieden, ihren Adel und ihre Hoheit nur im Ein- gebornen vom Vater.
Diese gleiche Wahrheit verkündet der Heiland, wenn er sagt: "Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret es ihnen nicht." Wehret es ihnen nicht! Sehet, diese Kleinen haben ein Bedürfniß nach mir, sie fühlen sich zu mir hingezogen; lasset sie kommen, haltet sie nicht zurück.
Daher scheinen viele nur die Religion zu haben, auf feine oder grobe Weise jede Religion aus der Welt zu schaffen und damit auch jede Erziehung. Denn dringt nur etwas tiefer in diesen hochwichtigen Gegenstand ein. Was ist also die Erziehung? Die Entwicklung aller edlen Anlagen des Menschen und damit die Befriedigung seiner rechtmäßigen Bedürfnisse. Was ist nun die vorzüglichste Anlage des Menschen und sein tiefstes Bedürfniß? Reli- gion und Gottesverehrung und noch einmal Gottesvereh- rung und Religion. Tertullian aus alter Zeit lehrt diese Allen so leicht erkennbare und doch so tiefe Wahrheit. Er frägt nämlich eine Seele, die nicht in Schulen gebildet, nicht in Büchern bewandert, er frägt die ungebildete, unwissende Seele jener Leute, die von der Gasse, von den Straßenecken, aus der Werkstatt herkommen, er frägt sie über Gott. Nachdem diese ungebildete Seele ihm geantwortet, ruft er aus: „O menschliche Seele, von Natur aus christlich!“
Was will er hiermit sagen? Tritt sie etwa rein ins Dasein? Nein. Bringt sie einen angebornen Reichthum voll Kenntniß zur Welt? Nein. Aber diese Seele hat ein natürliches Bedürfnis nach Gott, ihn zu erkennen, ihn zu lieben, ihn zu besitzen; diese Seele findet ihre Freude im fleischgewordenen Worte, diese kindliche Seele frohlockt im Glauben, daß Gott selbst ein Kind geworden. Die Seele ist von Natur aus christlich; Gott hat sie für Christus erschaffen und wie sie nur im Namen Jesu selig werden kann, so findet sie ihre Ruhe, ihren Frieden, ihren Adel und ihre Hoheit nur im Ein- gebornen vom Vater.
Diese gleiche Wahrheit verkündet der Heiland, wenn er sagt: „Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret es ihnen nicht.“ Wehret es ihnen nicht! Sehet, diese Kleinen haben ein Bedürfniß nach mir, sie fühlen sich zu mir hingezogen; lasset sie kommen, haltet sie nicht zurück.
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Daher scheinen viele nur die Religion zu haben,
auf feine oder grobe Weise jede Religion aus der Welt
zu schaffen und damit auch jede Erziehung. Denn dringt
nur etwas tiefer in diesen hochwichtigen Gegenstand ein.
Was ist also die Erziehung? Die Entwicklung aller edlen
Anlagen des Menschen und damit die Befriedigung seiner
rechtmäßigen Bedürfnisse. Was ist nun die vorzüglichste
Anlage des Menschen und sein tiefstes Bedürfniß? Reli-
gion und Gottesverehrung und noch einmal Gottesvereh-
rung und Religion. Tertullian aus alter Zeit lehrt diese
Allen so leicht erkennbare und doch so tiefe Wahrheit. Er
frägt nämlich eine Seele, die nicht in Schulen gebildet,
nicht in Büchern bewandert, er frägt die ungebildete,
unwissende Seele jener Leute, die von der Gasse,
von den Straßenecken, aus der Werkstatt herkommen, er
frägt sie über Gott. Nachdem diese ungebildete Seele ihm
geantwortet, ruft er aus: „O menschliche Seele, von Natur
aus christlich!“
Was will er hiermit sagen? Tritt sie etwa rein ins
Dasein? Nein. Bringt sie einen angebornen Reichthum
voll Kenntniß zur Welt? Nein. Aber diese Seele hat
ein natürliches Bedürfnis nach Gott, ihn zu erkennen,
ihn zu lieben, ihn zu besitzen; diese Seele findet ihre
Freude im fleischgewordenen Worte, diese kindliche
Seele frohlockt im Glauben, daß Gott selbst ein Kind
geworden. Die Seele ist von Natur aus christlich;
Gott hat sie für Christus erschaffen und wie sie nur im
Namen Jesu selig werden kann, so findet sie ihre Ruhe,
ihren Frieden, ihren Adel und ihre Hoheit nur im Ein-
gebornen vom Vater.
Diese gleiche Wahrheit verkündet der Heiland, wenn
er sagt: „Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret
es ihnen nicht.“ Wehret es ihnen nicht! Sehet, diese
Kleinen haben ein Bedürfniß nach mir, sie fühlen sich zu
mir hingezogen; lasset sie kommen, haltet sie nicht zurück.
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/187>, abgerufen am 21.11.2024.
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