Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Da nun sehet ihr die Versuchung, die Krisis, die
entscheidende Wendung schon in der Kindheit, oder in der
etwas reifern Jugend. Nun kommt die Frage, welche
Mittel haben wir also, um dieser Krisis eine glückliche
Wendung zu geben? Für heute will ich nur von der
entsprechende Pflicht der Eltern etwas sagen.

Mit der ersten Sünde ist auch die Begierlichkeit in
das Fleisch gefahren; mit der Erbsünde wird sie fort-
gepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht. Damit aber der
Mensch den Kampf gegen die Fleischeslust leichter führe,
hat ihm Gott das Schamgefühl eingepflanzt. So deckten
sich schon die Stammeltern gleich nach der ersten Sünde
mit Feigenblättern. Obwohl nun der Mensch aller
Sünden sich schämt, so erötet er doch besonders wegen
der Unlauterkeit. Daher ist denn auch die Scham un-
zertrennlich mit der Reinigkeit verbunden, und die Worte
Scham und Keuschheit werden oft gebraucht, um die gleiche
Tugend der Reinigkeit zu bezeichnen. Das war schon
jenem heidnischen Philosophen Aristoteles klar, und nach
ihm hat der hl. Thomas diese Wahrheiten noch tiefer
entwickelt (II. II. q. 151 art. 4.)

Wollet ihr daher euere Kinder in der Unschuld be-
wahren, erhaltet sie schamhaft und zwar von den ersten
Jahren ihres Daseins an. Aber was thun? Ihr müsset
selbst vor euren Kindern in aller Sittsamkeit wandeln;
seid daher von ihnen immer vollständig angekleidet, daß
jedermann euch sehen darf; alles was ihr vor den Kindern
thuet, sei rein, sei unbefleckt, und was ihr vor mir nicht
thun dürfet, thuet auch niemals vor einem zwei- oder drei-
oder vierjährigen Kinde. "Aber, sagt man, das ist denn
doch zu strenge, darauf geben die Kinder gar nicht acht,
das verstehen sie gar nicht."
So reden viele gedankenlose
Christen; aber die alten Heiden hatten den richtigen
Grundsatz: "Reverentia puero habeatur!" Vor dem

Da nun sehet ihr die Versuchung, die Krisis, die
entscheidende Wendung schon in der Kindheit, oder in der
etwas reifern Jugend. Nun kommt die Frage, welche
Mittel haben wir also, um dieser Krisis eine glückliche
Wendung zu geben? Für heute will ich nur von der
entsprechende Pflicht der Eltern etwas sagen.

Mit der ersten Sünde ist auch die Begierlichkeit in
das Fleisch gefahren; mit der Erbsünde wird sie fort-
gepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht. Damit aber der
Mensch den Kampf gegen die Fleischeslust leichter führe,
hat ihm Gott das Schamgefühl eingepflanzt. So deckten
sich schon die Stammeltern gleich nach der ersten Sünde
mit Feigenblättern. Obwohl nun der Mensch aller
Sünden sich schämt, so erötet er doch besonders wegen
der Unlauterkeit. Daher ist denn auch die Scham un-
zertrennlich mit der Reinigkeit verbunden, und die Worte
Scham und Keuschheit werden oft gebraucht, um die gleiche
Tugend der Reinigkeit zu bezeichnen. Das war schon
jenem heidnischen Philosophen Aristoteles klar, und nach
ihm hat der hl. Thomas diese Wahrheiten noch tiefer
entwickelt (II. II. q. 151 art. 4.)

Wollet ihr daher euere Kinder in der Unschuld be-
wahren, erhaltet sie schamhaft und zwar von den ersten
Jahren ihres Daseins an. Aber was thun? Ihr müsset
selbst vor euren Kindern in aller Sittsamkeit wandeln;
seid daher von ihnen immer vollständig angekleidet, daß
jedermann euch sehen darf; alles was ihr vor den Kindern
thuet, sei rein, sei unbefleckt, und was ihr vor mir nicht
thun dürfet, thuet auch niemals vor einem zwei- oder drei-
oder vierjährigen Kinde. „Aber, sagt man, das ist denn
doch zu strenge, darauf geben die Kinder gar nicht acht,
das verstehen sie gar nicht.“
So reden viele gedankenlose
Christen; aber die alten Heiden hatten den richtigen
Grundsatz: Reverentia puero habeatur!“ Vor dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="26">
        <pb facs="#f0262" xml:id="H891_001_1896_pb0250_0001" n="250"/>
        <p>Da nun sehet ihr die Versuchung, die Krisis, die<lb/>
entscheidende Wendung schon in der Kindheit, oder in der<lb/>
etwas reifern Jugend. Nun kommt die Frage, welche<lb/>
Mittel haben wir also, um dieser Krisis eine glückliche<lb/>
Wendung zu geben? Für heute will ich nur von der<lb/>
entsprechende Pflicht der Eltern etwas sagen.</p>
        <p>Mit der ersten Sünde ist auch die Begierlichkeit in<lb/>
das Fleisch gefahren; mit der Erbsünde wird sie fort-<lb/>
gepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht. Damit aber der<lb/>
Mensch den Kampf gegen die Fleischeslust leichter führe,<lb/>
hat ihm Gott das Schamgefühl eingepflanzt. So deckten<lb/>
sich schon die Stammeltern gleich nach der ersten Sünde<lb/>
mit Feigenblättern. Obwohl nun der Mensch aller<lb/>
Sünden sich schämt, so erötet er doch besonders wegen<lb/>
der Unlauterkeit. Daher ist denn auch die Scham un-<lb/>
zertrennlich mit der Reinigkeit verbunden, und die Worte<lb/>
Scham und Keuschheit werden oft gebraucht, um die gleiche<lb/>
Tugend der Reinigkeit zu bezeichnen. Das war schon<lb/>
jenem heidnischen Philosophen Aristoteles klar, und nach<lb/>
ihm hat der hl. Thomas diese Wahrheiten noch tiefer<lb/>
entwickelt (II. II. q. 151 art. 4.)</p>
        <p>Wollet ihr daher euere Kinder in der Unschuld be-<lb/>
wahren, erhaltet sie schamhaft und zwar von den ersten<lb/>
Jahren ihres Daseins an. Aber was thun? Ihr müsset<lb/>
selbst vor euren Kindern in aller Sittsamkeit wandeln;<lb/>
seid daher von ihnen immer vollständig angekleidet, daß<lb/>
jedermann euch sehen darf; alles was ihr vor den Kindern<lb/>
thuet, sei rein, sei unbefleckt, und was ihr vor mir nicht<lb/>
thun dürfet, thuet auch niemals vor einem zwei- oder drei-<lb/>
oder vierjährigen Kinde. <q>&#x201E;Aber, sagt man, das ist denn<lb/>
doch zu strenge, darauf geben die Kinder gar nicht acht,<lb/>
das verstehen sie gar nicht.&#x201C;</q> So reden viele gedankenlose<lb/>
Christen; aber die alten Heiden hatten den richtigen<lb/>
Grundsatz: <q>&#x201E;<hi rendition="#aq">Reverentia puero habeatur</hi>!&#x201C;</q>
  <q>Vor dem<lb/></q></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0262] Da nun sehet ihr die Versuchung, die Krisis, die entscheidende Wendung schon in der Kindheit, oder in der etwas reifern Jugend. Nun kommt die Frage, welche Mittel haben wir also, um dieser Krisis eine glückliche Wendung zu geben? Für heute will ich nur von der entsprechende Pflicht der Eltern etwas sagen. Mit der ersten Sünde ist auch die Begierlichkeit in das Fleisch gefahren; mit der Erbsünde wird sie fort- gepflanzt von Geschlecht zu Geschlecht. Damit aber der Mensch den Kampf gegen die Fleischeslust leichter führe, hat ihm Gott das Schamgefühl eingepflanzt. So deckten sich schon die Stammeltern gleich nach der ersten Sünde mit Feigenblättern. Obwohl nun der Mensch aller Sünden sich schämt, so erötet er doch besonders wegen der Unlauterkeit. Daher ist denn auch die Scham un- zertrennlich mit der Reinigkeit verbunden, und die Worte Scham und Keuschheit werden oft gebraucht, um die gleiche Tugend der Reinigkeit zu bezeichnen. Das war schon jenem heidnischen Philosophen Aristoteles klar, und nach ihm hat der hl. Thomas diese Wahrheiten noch tiefer entwickelt (II. II. q. 151 art. 4.) Wollet ihr daher euere Kinder in der Unschuld be- wahren, erhaltet sie schamhaft und zwar von den ersten Jahren ihres Daseins an. Aber was thun? Ihr müsset selbst vor euren Kindern in aller Sittsamkeit wandeln; seid daher von ihnen immer vollständig angekleidet, daß jedermann euch sehen darf; alles was ihr vor den Kindern thuet, sei rein, sei unbefleckt, und was ihr vor mir nicht thun dürfet, thuet auch niemals vor einem zwei- oder drei- oder vierjährigen Kinde. „Aber, sagt man, das ist denn doch zu strenge, darauf geben die Kinder gar nicht acht, das verstehen sie gar nicht.“ So reden viele gedankenlose Christen; aber die alten Heiden hatten den richtigen Grundsatz: „Reverentia puero habeatur!“ Vor dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/262
Zitationshilfe: Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/262>, abgerufen am 27.07.2024.