achten und lieben. Wenn aber manche Arbeiter sich gegen- seitig verachten, wenn andere ihre Würde und den Adel der Mitarbeiter derart vergessen, daß sie durch ein ge- wisses Laster in Wort und That alles verwüsten - können solche noch auf die Anerkennung ihrer Würde und Hoheit Anspruch machen? Urtheilet nur selbst.
Mehr als ein Viertel Jahrhundert stehe ich nun mehr oder weniger im öffentlichen Leben; verkehrte fast ausschließlich mit armen und geplagten Leuten - und wenn ich sage, daß ich seit dreizehn Jahren mit 12000 Kranken aus dem Arbeiterstand nur im Kantonsspital mich unterhielt, so greife ich gewiß nicht zu hoch. Aber gerade deswegen habe ich nicht bloß das Recht, sondern auch die hl. Pflicht, mit der Fackel des Evangeliums gewisse Nacht- seiten des Lebens zu beleuchten und meine Stimme warnend und bittend in alle Schichten der Gesellschaft ertönen zu lassen. Wenn mir dann manche eine gewisse Vorliebe gegen die große Masse der Armen und Geplagten und Mühseligen zum Vorwurfe machen, so rühme mich dessen so lange der Glaube besteht: Der Gottmensch lebte von der Krippe bis zum Kreuze in Armuth, in Mühsal, in Verachtung. Aber gerade deswegen wird das geplagte Arbeitervolk mir auch nicht zürnen, wenn ich ihm seine Stellung zu den Herrschaften und Reichen erkläre. Darum sag ich noch einmal: "Christliche Arbeiter und Arbeite- rinnen, habet doch vor einander Ehrfurcht, auf daß auch euere Vorgesetzten vor euch Ehrfurcht zu haben wie ge- zwungen sind."
Aber das ist noch lange nicht genug. Denn wie die Obern euch zu achten haben, so sollet auch ihr gegen sie Ehrfurcht tragen. Das nun ist leicht. Denn hier gilt alles, was ich anfangs sagte. Auch ihr sollet nämlich euere Arbeitgeber als Kinder und Erben Gottes, als euere Brüder in Christo Jesu betrachten. Aber wenn es Juden
achten und lieben. Wenn aber manche Arbeiter sich gegen- seitig verachten, wenn andere ihre Würde und den Adel der Mitarbeiter derart vergessen, daß sie durch ein ge- wisses Laster in Wort und That alles verwüsten – können solche noch auf die Anerkennung ihrer Würde und Hoheit Anspruch machen? Urtheilet nur selbst.
Mehr als ein Viertel Jahrhundert stehe ich nun mehr oder weniger im öffentlichen Leben; verkehrte fast ausschließlich mit armen und geplagten Leuten – und wenn ich sage, daß ich seit dreizehn Jahren mit 12000 Kranken aus dem Arbeiterstand nur im Kantonsspital mich unterhielt, so greife ich gewiß nicht zu hoch. Aber gerade deswegen habe ich nicht bloß das Recht, sondern auch die hl. Pflicht, mit der Fackel des Evangeliums gewisse Nacht- seiten des Lebens zu beleuchten und meine Stimme warnend und bittend in alle Schichten der Gesellschaft ertönen zu lassen. Wenn mir dann manche eine gewisse Vorliebe gegen die große Masse der Armen und Geplagten und Mühseligen zum Vorwurfe machen, so rühme mich dessen so lange der Glaube besteht: Der Gottmensch lebte von der Krippe bis zum Kreuze in Armuth, in Mühsal, in Verachtung. Aber gerade deswegen wird das geplagte Arbeitervolk mir auch nicht zürnen, wenn ich ihm seine Stellung zu den Herrschaften und Reichen erkläre. Darum sag ich noch einmal: „Christliche Arbeiter und Arbeite- rinnen, habet doch vor einander Ehrfurcht, auf daß auch euere Vorgesetzten vor euch Ehrfurcht zu haben wie ge- zwungen sind.“
Aber das ist noch lange nicht genug. Denn wie die Obern euch zu achten haben, so sollet auch ihr gegen sie Ehrfurcht tragen. Das nun ist leicht. Denn hier gilt alles, was ich anfangs sagte. Auch ihr sollet nämlich euere Arbeitgeber als Kinder und Erben Gottes, als euere Brüder in Christo Jesu betrachten. Aber wenn es Juden
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achten und lieben. Wenn aber manche Arbeiter sich gegen-
seitig verachten, wenn andere ihre Würde und den Adel
der Mitarbeiter derart vergessen, daß sie durch ein ge-
wisses Laster in Wort und That alles verwüsten – können
solche noch auf die Anerkennung ihrer Würde und Hoheit
Anspruch machen? Urtheilet nur selbst.
Mehr als ein Viertel Jahrhundert stehe ich nun
mehr oder weniger im öffentlichen Leben; verkehrte fast
ausschließlich mit armen und geplagten Leuten – und
wenn ich sage, daß ich seit dreizehn Jahren mit 12000
Kranken aus dem Arbeiterstand nur im Kantonsspital mich
unterhielt, so greife ich gewiß nicht zu hoch. Aber gerade
deswegen habe ich nicht bloß das Recht, sondern auch die
hl. Pflicht, mit der Fackel des Evangeliums gewisse Nacht-
seiten des Lebens zu beleuchten und meine Stimme warnend
und bittend in alle Schichten der Gesellschaft ertönen zu
lassen. Wenn mir dann manche eine gewisse Vorliebe
gegen die große Masse der Armen und Geplagten und
Mühseligen zum Vorwurfe machen, so rühme mich dessen
so lange der Glaube besteht: Der Gottmensch lebte von
der Krippe bis zum Kreuze in Armuth, in Mühsal, in
Verachtung. Aber gerade deswegen wird das geplagte
Arbeitervolk mir auch nicht zürnen, wenn ich ihm seine
Stellung zu den Herrschaften und Reichen erkläre. Darum
sag ich noch einmal: „Christliche Arbeiter und Arbeite-
rinnen, habet doch vor einander Ehrfurcht, auf daß auch
euere Vorgesetzten vor euch Ehrfurcht zu haben wie ge-
zwungen sind.“
Aber das ist noch lange nicht genug. Denn wie die
Obern euch zu achten haben, so sollet auch ihr gegen sie
Ehrfurcht tragen. Das nun ist leicht. Denn hier gilt
alles, was ich anfangs sagte. Auch ihr sollet nämlich
euere Arbeitgeber als Kinder und Erben Gottes, als euere
Brüder in Christo Jesu betrachten. Aber wenn es Juden
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/370>, abgerufen am 22.11.2024.
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