hätten erwarten sollen, und so ist anzunehmen, daß eine sehr gleichförmig verbreitete Dunstschicht den wahren Horizont ver- deckte und der aufsteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Osten beobachtet, kann man die Langsamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl einer ungewöhnlich starken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuschreiben; denn, wie Le Gentil es täglich in Pondichery und ich öfters in Cumana beobachtet haben, erniedrigt sich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftschicht unmittelbar auf der Meeresfläche sich erhöht.
Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, ist äußerst ermüdend. Der Abhang ist steil und die Lavablöcke wichen unter unseren Füßen. Ich kann dieses Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen ver- gleichen, jenen Haufen von Rollsteinen, welche am unteren Ende der Gletscher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik haben aber scharfe Kanten und lassen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug die Faulheit und der üble Wille unserer Führer viel dazu bei, uns das Aufsteigen sauer zu machen; sie glichen weder den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, daß sie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unsere kanarischen Führer waren träg zum Verzweifeln; sie hatten tags zuvor uns be- reden wollen, nicht über die Station bei den Felsen hinauf- zugehen; sie setzten sich alle zehn Minuten nieder, um aus- zuruhen; sie warfen hinter uns die Handstücke Obsidian und Bimsstein, die wir sorgfältig gesammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes gewesen war.
Nach dreistündigem Marsch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt; aus ihrem Mittelpunkte steigt der Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren ersteres viermal höher ist als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Piks zu 3710 m an, so liegt die Rambleta 3546 m über dem Meere. Hier befinden sich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen Nasenlöcher des Piks (Narices del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Gestein dringen
hätten erwarten ſollen, und ſo iſt anzunehmen, daß eine ſehr gleichförmig verbreitete Dunſtſchicht den wahren Horizont ver- deckte und der aufſteigenden Sonne nachrückte. Trotz des Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Oſten beobachtet, kann man die Langſamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl einer ungewöhnlich ſtarken Brechung der vom Meereshorizont zu uns gelangenden Strahlen zuſchreiben; denn, wie Le Gentil es täglich in Pondichéry und ich öfters in Cumana beobachtet haben, erniedrigt ſich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang, weil die Temperatur der Luftſchicht unmittelbar auf der Meeresfläche ſich erhöht.
Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen mußten, iſt äußerſt ermüdend. Der Abhang iſt ſteil und die Lavablöcke wichen unter unſeren Füßen. Ich kann dieſes Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen ver- gleichen, jenen Haufen von Rollſteinen, welche am unteren Ende der Gletſcher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik haben aber ſcharfe Kanten und laſſen oft Lücken, in die man Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug die Faulheit und der üble Wille unſerer Führer viel dazu bei, uns das Aufſteigen ſauer zu machen; ſie glichen weder den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen, von denen die Sage geht, daß ſie ein Kaninchen oder eine wilde Ziege im Laufe fingen. Unſere kanariſchen Führer waren träg zum Verzweifeln; ſie hatten tags zuvor uns be- reden wollen, nicht über die Station bei den Felſen hinauf- zugehen; ſie ſetzten ſich alle zehn Minuten nieder, um aus- zuruhen; ſie warfen hinter uns die Handſtücke Obſidian und Bimsſtein, die wir ſorgfältig geſammelt hatten, weg, und es kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes geweſen war.
Nach dreiſtündigem Marſch erreichten wir das Ende des Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt; aus ihrem Mittelpunkte ſteigt der Piton oder Zuckerhut empor. Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren erſteres viermal höher iſt als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe des Piks zu 3710 m an, ſo liegt die Rambleta 3546 m über dem Meere. Hier befinden ſich die Luftlöcher, welche bei den Eingeborenen Naſenlöcher des Piks (Narices del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Geſtein dringen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="84"/>
hätten erwarten ſollen, und ſo iſt anzunehmen, daß eine ſehr<lb/>
gleichförmig verbreitete Dunſtſchicht den wahren Horizont ver-<lb/>
deckte und der aufſteigenden Sonne nachrückte. Trotz des<lb/>
Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Oſten beobachtet,<lb/>
kann man die Langſamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl<lb/>
einer ungewöhnlich ſtarken Brechung der vom Meereshorizont<lb/>
zu uns gelangenden Strahlen zuſchreiben; denn, wie Le Gentil<lb/>
es täglich in Pondich<hirendition="#aq">é</hi>ry und ich öfters in Cumana beobachtet<lb/>
haben, erniedrigt ſich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang,<lb/>
weil die Temperatur der Luftſchicht unmittelbar auf der<lb/>
Meeresfläche ſich erhöht.</p><lb/><p>Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen<lb/>
mußten, iſt äußerſt ermüdend. Der Abhang iſt ſteil und die<lb/>
Lavablöcke wichen unter unſeren Füßen. Ich kann dieſes<lb/>
Stück des Weges nur mit den <hirendition="#g">Moränen</hi> der Alpen ver-<lb/>
gleichen, jenen Haufen von Rollſteinen, welche am unteren<lb/>
Ende der Gletſcher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik<lb/>
haben aber ſcharfe Kanten und laſſen oft Lücken, in die man<lb/>
Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug<lb/>
die Faulheit und der üble Wille unſerer Führer viel dazu<lb/>
bei, uns das Aufſteigen ſauer zu machen; ſie glichen weder<lb/>
den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen,<lb/>
von denen die Sage geht, daß ſie ein Kaninchen oder eine<lb/>
wilde Ziege im Laufe fingen. Unſere kanariſchen Führer<lb/>
waren träg zum Verzweifeln; ſie hatten tags zuvor uns be-<lb/>
reden wollen, nicht über die Station bei den Felſen hinauf-<lb/>
zugehen; ſie ſetzten ſich alle zehn Minuten nieder, um aus-<lb/>
zuruhen; ſie warfen hinter uns die Handſtücke Obſidian und<lb/>
Bimsſtein, die wir ſorgfältig geſammelt hatten, weg, und es<lb/>
kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes<lb/>
geweſen war.</p><lb/><p>Nach dreiſtündigem Marſch erreichten wir das Ende des<lb/>
Malpays bei einer kleinen Ebene, <hirendition="#aq">la Rambleta</hi> genannt;<lb/>
aus ihrem Mittelpunkte ſteigt der Piton oder Zuckerhut empor.<lb/>
Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden<lb/>
in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama<lb/>
und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren erſteres<lb/>
viermal höher iſt als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe<lb/>
des Piks zu 3710 <hirendition="#aq">m</hi> an, ſo liegt die Rambleta 3546 <hirendition="#aq">m</hi><lb/>
über dem Meere. Hier befinden ſich die Luftlöcher, welche<lb/>
bei den Eingeborenen <hirendition="#g">Naſenlöcher des Piks</hi> (<hirendition="#aq">Narices<lb/>
del Pico</hi>) heißen. Aus mehreren Spalten im Geſtein dringen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[84/0100]
hätten erwarten ſollen, und ſo iſt anzunehmen, daß eine ſehr
gleichförmig verbreitete Dunſtſchicht den wahren Horizont ver-
deckte und der aufſteigenden Sonne nachrückte. Trotz des
Schwankens der Sterne, das wir vorhin im Oſten beobachtet,
kann man die Langſamkeit des Sonnenaufganges nicht wohl
einer ungewöhnlich ſtarken Brechung der vom Meereshorizont
zu uns gelangenden Strahlen zuſchreiben; denn, wie Le Gentil
es täglich in Pondichéry und ich öfters in Cumana beobachtet
haben, erniedrigt ſich der Horizont gerade bei Sonnenaufgang,
weil die Temperatur der Luftſchicht unmittelbar auf der
Meeresfläche ſich erhöht.
Der Weg, den wir uns durch das Malpays bahnen
mußten, iſt äußerſt ermüdend. Der Abhang iſt ſteil und die
Lavablöcke wichen unter unſeren Füßen. Ich kann dieſes
Stück des Weges nur mit den Moränen der Alpen ver-
gleichen, jenen Haufen von Rollſteinen, welche am unteren
Ende der Gletſcher liegen; die Lavatrümmer auf dem Pik
haben aber ſcharfe Kanten und laſſen oft Lücken, in die man
Gefahr läuft bis zum halben Körper zu fallen. Leider trug
die Faulheit und der üble Wille unſerer Führer viel dazu
bei, uns das Aufſteigen ſauer zu machen; ſie glichen weder
den Führern im Chamounithal noch jenen gewandten Guanchen,
von denen die Sage geht, daß ſie ein Kaninchen oder eine
wilde Ziege im Laufe fingen. Unſere kanariſchen Führer
waren träg zum Verzweifeln; ſie hatten tags zuvor uns be-
reden wollen, nicht über die Station bei den Felſen hinauf-
zugehen; ſie ſetzten ſich alle zehn Minuten nieder, um aus-
zuruhen; ſie warfen hinter uns die Handſtücke Obſidian und
Bimsſtein, die wir ſorgfältig geſammelt hatten, weg, und es
kam heraus, daß noch keiner auf dem Gipfel des Vulkanes
geweſen war.
Nach dreiſtündigem Marſch erreichten wir das Ende des
Malpays bei einer kleinen Ebene, la Rambleta genannt;
aus ihrem Mittelpunkte ſteigt der Piton oder Zuckerhut empor.
Gegen Orotava zu gleicht der Berg jenen Treppenpyramiden
in Fajum und in Mexiko, denn die Plateaus der Retama
und die Rambleta bilden zwei Stockwerke, deren erſteres
viermal höher iſt als letzteres. Nimmt man die ganze Höhe
des Piks zu 3710 m an, ſo liegt die Rambleta 3546 m
über dem Meere. Hier befinden ſich die Luftlöcher, welche
bei den Eingeborenen Naſenlöcher des Piks (Narices
del Pico) heißen. Aus mehreren Spalten im Geſtein dringen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/100>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.