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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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aufsteigen und die die Westwinde rasch herbeiführen, verleiht
der Luft der Kanarischen Inseln eine Durchsichtigkeit, hinter
der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, sondern viel-
leicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückstehen.
Auf dieser Durchsichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der
Landschaften unter den Tropen; sie hebt den Glanz der Farben
der Gewächse und steigert die magische Wirkung ihrer Har-
monieen und ihrer Kontraste. Wenn eine große, um die Gegen-
stände verbreitete Lichtmasse in gewissen Stunden des Tages
die äußeren Sinne ermüdet, so wird der Bewohner südlicher
Klimate durch moralische Genüsse dafür entschädigt. Schwung
und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entsprechen
der Durchsichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält diese
Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überschreiten; ich
berufe mich auf die Reisenden, welche jene durch die Wunder
des Gedankens und der Kunst verherrlichten Länder gesehen
haben, die glücklichen Himmelsstriche Griechenlands und Italiens.

Umsonst verlängerten wir unseren Aufenthalt auf dem
Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen
Archipel der glückseligen Inseln 1 würden übersehen können.
Wir sahen zu unseren Füßen Palma, Gomera und die große
Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang
dunstfrei gewesen waren, hüllten sich bald wieder in dichte
Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgesetzt, über-
sieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes
ein Stück Erdoberfläche von 115000 qkm, also so viel als
ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft ist die Frage auf-
geworfen worden, ob man von dieser ungeheuren Pyramide
die afrikanische Küste sehen könne. Aber die nächsten Striche
dieser Küste sind 2° 49' im Bogen, oder 252 km entfernt;
da nun der Gesichtshalbmesser des Horizontes des Piks 1° 47,
beträgt, so kann Kap Bojador nur sichtbar werden, wenn man
ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wissen gar nicht, wie hoch
die Schwarzen Berge bei Kap Bojador sind, sowie der Pik
südlich von diesem Vorgebirge, den die Seefahrer Pennon grande
nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zu-

1 Von allen kleinen Kanarischen Inseln ist nur die Roca del
Este vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu sehen. Sie liegt
3,5° ab, Salvage dagegen nur 2° 1'. Die Insel Madeira, die
4° 29' entfernt ist, wäre nur dann zu sehen, wenn ihre Berge über
5850 m hoch wären.

aufſteigen und die die Weſtwinde raſch herbeiführen, verleiht
der Luft der Kanariſchen Inſeln eine Durchſichtigkeit, hinter
der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, ſondern viel-
leicht ſogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückſtehen.
Auf dieſer Durchſichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der
Landſchaften unter den Tropen; ſie hebt den Glanz der Farben
der Gewächſe und ſteigert die magiſche Wirkung ihrer Har-
monieen und ihrer Kontraſte. Wenn eine große, um die Gegen-
ſtände verbreitete Lichtmaſſe in gewiſſen Stunden des Tages
die äußeren Sinne ermüdet, ſo wird der Bewohner ſüdlicher
Klimate durch moraliſche Genüſſe dafür entſchädigt. Schwung
und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entſprechen
der Durchſichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält dieſe
Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überſchreiten; ich
berufe mich auf die Reiſenden, welche jene durch die Wunder
des Gedankens und der Kunſt verherrlichten Länder geſehen
haben, die glücklichen Himmelsſtriche Griechenlands und Italiens.

Umſonſt verlängerten wir unſeren Aufenthalt auf dem
Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen
Archipel der glückſeligen Inſeln 1 würden überſehen können.
Wir ſahen zu unſeren Füßen Palma, Gomera und die große
Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang
dunſtfrei geweſen waren, hüllten ſich bald wieder in dichte
Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgeſetzt, über-
ſieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes
ein Stück Erdoberfläche von 115000 qkm, alſo ſo viel als
ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft iſt die Frage auf-
geworfen worden, ob man von dieſer ungeheuren Pyramide
die afrikaniſche Küſte ſehen könne. Aber die nächſten Striche
dieſer Küſte ſind 2° 49′ im Bogen, oder 252 km entfernt;
da nun der Geſichtshalbmeſſer des Horizontes des Piks 1° 47,
beträgt, ſo kann Kap Bojador nur ſichtbar werden, wenn man
ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wiſſen gar nicht, wie hoch
die Schwarzen Berge bei Kap Bojador ſind, ſowie der Pik
ſüdlich von dieſem Vorgebirge, den die Seefahrer Peñon grande
nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zu-

1 Von allen kleinen Kanariſchen Inſeln iſt nur die Roca del
Eſte vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu ſehen. Sie liegt
3,5° ab, Salvage dagegen nur 2° 1′. Die Inſel Madeira, die
4° 29′ entfernt iſt, wäre nur dann zu ſehen, wenn ihre Berge über
5850 m hoch wären.
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[93/0109] aufſteigen und die die Weſtwinde raſch herbeiführen, verleiht der Luft der Kanariſchen Inſeln eine Durchſichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, ſondern viel- leicht ſogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückſtehen. Auf dieſer Durchſichtigkeit beruht vornehmlich die Pracht der Landſchaften unter den Tropen; ſie hebt den Glanz der Farben der Gewächſe und ſteigert die magiſche Wirkung ihrer Har- monieen und ihrer Kontraſte. Wenn eine große, um die Gegen- ſtände verbreitete Lichtmaſſe in gewiſſen Stunden des Tages die äußeren Sinne ermüdet, ſo wird der Bewohner ſüdlicher Klimate durch moraliſche Genüſſe dafür entſchädigt. Schwung und Klarheit der Gedanken, innerliche Heiterkeit entſprechen der Durchſichtigkeit der umgebenden Luft. Man erhält dieſe Eindrücke, ohne die Grenze von Europa zu überſchreiten; ich berufe mich auf die Reiſenden, welche jene durch die Wunder des Gedankens und der Kunſt verherrlichten Länder geſehen haben, die glücklichen Himmelsſtriche Griechenlands und Italiens. Umſonſt verlängerten wir unſeren Aufenthalt auf dem Gipfel des Piks, des Momentes harrend, wo wir den ganzen Archipel der glückſeligen Inſeln 1 würden überſehen können. Wir ſahen zu unſeren Füßen Palma, Gomera und die große Canaria. Die Berge von Lanzarote, die bei Sonnenaufgang dunſtfrei geweſen waren, hüllten ſich bald wieder in dichte Wolken. Nur die gewöhnliche Refraktion vorausgeſetzt, über- ſieht das Auge bei hellem Wetter vom Gipfel des Vulkanes ein Stück Erdoberfläche von 115000 qkm, alſo ſo viel als ein Vierteil der Oberfläche Spaniens. Oft iſt die Frage auf- geworfen worden, ob man von dieſer ungeheuren Pyramide die afrikaniſche Küſte ſehen könne. Aber die nächſten Striche dieſer Küſte ſind 2° 49′ im Bogen, oder 252 km entfernt; da nun der Geſichtshalbmeſſer des Horizontes des Piks 1° 47, beträgt, ſo kann Kap Bojador nur ſichtbar werden, wenn man ihm 390 m Meereshöhe gibt. Wir wiſſen gar nicht, wie hoch die Schwarzen Berge bei Kap Bojador ſind, ſowie der Pik ſüdlich von dieſem Vorgebirge, den die Seefahrer Peñon grande nennen. Wäre der Gipfel des Vulkanes von Tenerifa zu- 1 Von allen kleinen Kanariſchen Inſeln iſt nur die Roca del Eſte vom Pik auch bei hellem Wetter nicht zu ſehen. Sie liegt 3,5° ab, Salvage dagegen nur 2° 1′. Die Inſel Madeira, die 4° 29′ entfernt iſt, wäre nur dann zu ſehen, wenn ihre Berge über 5850 m hoch wären.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/109>, abgerufen am 21.11.2024.